Sprache ist Macht – warum wir diskriminierungsfreiere Sprache nutzen sollten

Werbung* Heute habe ich einen tollen Gastbeitrag für Euch. Wir alle benutzen in unserem täglichen Gebrauch natürlich Sprache. Oft mit nicht wirklich reflektierten Wörtern, einfach, weil wir diese immer verwenden. Aber Sprache besitzt eine große Macht und kann verletzen und beeinflusst unsere Wahrnehmung.

Dank Mama Huhn und einigen anderen Menschen lerne ich aber dazu. Ich möchte nicht durch Formulierungen oder Wortwahl Menschen verletzen und hoffe auch, dass ich meinen Kindern ein Bewusstsein dafür mitgeben kann. Maike Huhn hat daher einen wunderbaren Gastbeitrag geschrieben, was diskriminierungsfreie und inklusive Sprache ist und warum das für uns als Eltern auch eine Rolle spielen sollte.

Diskriminierungsfreiere Sprache – Wie geht das?

Eingangs sei gesagt, dass Sprache das besondere Talent hat, sich zu wandeln, zu verändern. Es liegt in ihrer Natur, flexibel zu bleiben, und eine Verhandlungsbasis zu bieten. Bedeutungen einzelner Worte können vorbelastet sein („völkisch“, „Nationalstolz“), neu vereinnahmt werden, oder gänzlich aus dem Sprachgebrauch fallen. Andere Worte, speziell Verben, passen sich einer Gewohnheit an. Sie werden dann statt stark nun schwach gesteigert (von „schreiben-schrub-geschroben“ zu „schreiben-schrieb-geschrieben“).

Sprache ist Macht

Diese Art der Sprache

Warum also sollten wir uns mit diskriminierunsfreierer Sprache beschäftigen? Was ist das überhaupt? Wen betrifft das, und welche Auswirkungen und Formen hat diese Art der Sprache? 

Im Folgenden möchte ich euch ein paar Impulse für einen bewussteren Umgang mit eurer Sprache mitgeben. 
Sprache ist Macht.
Sprache kann als Mittel bestimmte Machtverhältnisse nicht nur abbilden, sondern auch verhärten. Wollen wir uns also unsere Sprache hinterfragen, ist mit dem Willen zur Veränderung der erste Schritt schon getan. Allgemein möchte die diskriminierungsfreiere Sprache eine hörbare und damit weitere Rücksichtnahme ermöglichen. Als Eltern tragen wir damit eine besondere Verantwortung, wie zum Beispiel auch in der Gewaltfreien Kommunikation, die hier jedoch keinen besonderen Platz findet.

Sprache im Leben mit Kindern

1. Was ist diskriminierungsfreie bzw. inklusive Sprache?

Die Begriffe „diskriminierungsfrei“ und „inklusiv“ sind nicht neu. Sprache kann tatsächlich ausschließen, und das nicht nur auf einer Ebene. Das Thema ist sehr komplex, und bietet unfassbar viele Möglichkeiten zum Ansatz. Gerade deshalb: bitte nicht verzweifeln, wenn nicht gleich alles klar ist – Sprache braucht auch Zeit, um sich zu verändern. Wenn wir uns zunächst bewusst werden, welche Muster wir wiederholen, können wir bewusster darauf achten, wie wir mit diesen Mustern umgehen wollen.
In Verbindung mit Sprache bedeutet „diskriminierungsfrei“, dass es sich hier um die Befreiung von vorhandenen Barrieren und Diskriminierungen handelt. Ergänzend verwende ich den Begriff „inklusiv“. Inklusive Sprache bedeutet, niemanden auszuschließen. Sprache transportiert oft unbewusst geprägte Werte. Diese werden durch weit verbreitete Muster in Medien, Literatur und im Fernsehen schnell zur unausweichlich wirkenden Normalität.

Der erste Schritt bei vielen Begriffen und Formulierungen ist, dass wir uns fragen: Vertreten wir die zugrunde liegenden Werte überhaupt? Bemerken wir dann, dass wir bestimmte Personengruppen ausschließen, kann ein regelrechter aha-Effekt eintreten. 

2. Wer untersucht und wen berücksichtigt diskriminierungsfreie bzw. inklusive Sprache?


Sprache wird in verschiedenen Bereichen untersucht und auch bewusst eingesetzt, vor allem an Universitäten. Das betrifft die Fächer Sprachwissenschaften, Medienwissenschaften, Politikwissenschaften, Kulturwissenschaften und Geschichte. 
Diese sogenannten Geisteswissenschaften beschäftigen sich mit der Herkunft, Geschichte, und dem Wandel der Sprache und können mit gezieltem Blick besondere Muster erkennen lassen. So wird u.a. in Victor Klemperers 1947 erschienem Buch „Lingua Tertii Imperii – Sprache des Dritten Reiches“ ein bestimmter Kontext, hier: Die NS-Zeit, und die der Ideologie entsprechende Anwendung von Sprache untersucht. Ein sehr prominentes Beispiel zu Überbleibseln des sogenannten „Nazi-Sprechs“ ist die Redewendung, „Jedem das Seine“. Ich möchte diese Wendung als problematisch kennzeichnen, weil diese Wendung über dem Eingang des KZ Buchenwald steht. Die Umdeutung der ursprünglich lateinischen Wendung (suum cuique) ist also seit der Errichtung des KZ nicht mehr harmlos verwendbar.

Sprache ist Macht – diskriminierungsfreie Sprache – inklusive Sprache

Ansprache

Damit sind wir schon mitten im Thema: Wer wird eigentlich von uns berücksichtigt, wenn wir sprechen? Wen sprechen wir konkret an? Wen schließen wir aus?

Sprachliche Muster beginnen bei unserer Vorstellung von „Normalität“. Dazu gehört zum Beispiel das generische Maskulinum, das entgegen einigen Behauptungen eben nicht „neutral“ ist. Es wurde zum Standard erklärt, bevor Frauen und inzwischen auch trans, inter und nicht binäre Menschen in Politik, Wissenschaft und meinungsbildender Gesellschaft zugelassen waren. Das generische Maskulinum setzt voraus, dass Lehrer eben jedes Geschlecht haben können, genauso wie Erzieher, Pfleger, Politiker. Interessanterweise wird für die ultimativ weiblich konnotierte Berufsbezeichnung „Hebamme“ inzwischen aber das männliche Konter „Geburtshelfer“ geführt (anno 2015 gab es genau 2 männliche Hebammen in Deutschland). Der Aufschrei ist groß, wenn beim Thema Gewalt nur von „Tätern“ gesprochen wird. 
Diese Beispiele sollen vor Augen führen, dass Ausschluss schon bei ganz grundlegenden Formulierungen beginnt. Die Ansprachen „Studentinnen und Studenten“, „StudentInnen“ und „Student*innen“ zeigen verschiedene Versuche, inklusiv zu formulieren. Für diesen Bereich wird inzwischen auch das Wort „Studierende“ weiter verbreitet genutzt, es ist tatsächlich ein neutraler Begriff. In anderen Bereichen haben sich „Pflegekräfte“ oder „Fachpersonal“ als neutrale Worte entwickelt. Im alltäglichen Gebrauch, u.a. in Stellenausschreibungen sind diese Formulierungen allerdings noch immer selten.

3. Welche Formen der inklusiven Sprache kann ich anwenden?


Bevor ich etwas an meiner Sprache ändere, frage ich mich oft, wen ich ansprechen möchte. Idealerweise passt die angesprochene Gruppe auch zu meiner Zielgruppe. Soll heißen: Der Kontext, also die Situation, spielt hier eine enorm wichtige Rolle. Es nützt die beste Formulierung meiner Sprache nichts, wenn mein Gegenüber sie nicht versteht. Ein Beispiel dazu aus dem aktuellen Alltag: die studierten Fachkräfte in der Maßnahme des Jobcenters verwenden eine Sprache, die ich sehr gut verstehe, oftmals gibt es aber (Achtung, gegendertes Wort) Teilnehmende, die mit den hochgestochenen Formulierungen und Fremdwörtern nichts anfangen können. Es wäre ein guter Ansatz, hier einfache Sätze zu verwenden und weniger Fremdwörter und sich dort sprachlich an die Teilnehmenden anzupassen.
Sprachliche Anpassung kann nicht nur den leichter verständlichen Zugang herstellen, sondern auch ganz einfach mehr Menschen erreichen. Das ist bei gerade einmal 18% Akademiker:innen in der deutschen Bevölkerung nicht ganz unwichtig.
Die bisher erwähnten Beispiele umfassen bereits Rassismus bzw Nazi-Sprache, Sexismus in Form von generischem Maskulinum und dem Gendern von Begriffen, und leichter verständliche Sprache. Ein weiterer, wichtiger Bereich, auf den diskriminierungsfreie Sprache besonders passt, ist der sogennate „Ableismus“ (to be able (Engl.): in der Lage sein; hier: ohne Behinderung). Ableismus wertet Menschen aufgrund von Behinderungen sprachlich ab, bzw diskriminiert sie direkt. Eine besonders fiese Ausprägung des Ableismus ist, dass der Begriff „behindert“ als Beleidigung verwendet wird. 
Jede sprachliche Abwertung von Behinderungen als Belastung, Strafe, oder eben Beleidigung stigmatisieren Betroffene und verhärten die bestehenden Hürden für Menschen mit Behinderung. Diese Grundlage erschwert eine breitere Akzeptanz und Hilfestellung, weil die Vorurteile gegenüber behinderten Menschen so verfestigt (internalisiert) sind, dass viele Menschen unbewusst daran festhalten, und bei Kritik sehr wütend reagieren.

Saneismus meiden

Eine Unterform des Ableismus ist der Saneismus (sane (Engl.): Verstand; hier: Gegenteil von Wahnsinn im pathologischen Sinne). Zu den Begriffen aus dem Saneismus gehören Worte wie „irre“, „wahnsinnig“, aber auch „blöd“ und „dumm“. 
Richtig, so anscheinend einfache Begriffe sind bereits problematisch, weil sie Diagnosen normalisiert, die zur Rechtfertigung für Gewalt gegen Betroffene verwendet wurden. Aufgrund geringen Verstands (also geringer als der vermeintliche Durchschnitt) wurden Menschen bisher auf vielfältige Weise missbraucht und misshandelt, und diese Begriffe sind die sprachlichen Überreste der Gewalt. 
Bis heute findet sich übrigens im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) die Formulierung „Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen“ (§20), in der auch „Schwachsinn“ (psychatrisch festgelegt als „IQ kleiner 70“) als Beispiel genannt wird. Wikipedia gibt an, dass der Begriff damit nicht mehr in der Psychiatrie (also dem Ursprung), sondern nur noch in der Rechtswissenschaft verwendet wird.

4. Unsere Rolle als Eltern – und wie gehe ich mit Kritik aus dem Umfeld um?


Der bisherige Einblick ist sicher nicht so leicht zu verkraften. Das Feld scheint immens und voller Fallen zu sein – was darf ich denn da überhaupt noch sagen, ohne jemanden zu verletzen oder abzuwerten?

Nun, zunächst einmal: Das Thema ist quasi endlos, aber es können schon kleine Veränderungen viel bewirken. Hier eine kleine Übung: Vielleicht fallen euch spontan Begriffe auf, die ihr hier im Text gefunden habt, die ihr vorher für harmlos gehalten habt? Es ist okay, wenn ihr euch innerlich dagegen sträubt, lang genutzte Begriffe zu ersetzen. Es erfordert auch einfach ein wenig Übung. Der wichtigste Ansatz für euren Wandel kann schon der sein, dass ihr euch bewusst macht, was ihr eigentlich empfindet. Dann war die Person im Bus vielleicht nicht „dumm“, sondern „rücksichtslos“, als sie euch missachtet oder angerempelt hat?
Vielleicht ist auch der erste Ausflug nach langer Zeit zuhause nicht „der Wahnsinn“ gewesen, sondern „Eine echte Erleichterung/Abwechslung“?
Bei den ersten Schritten hatte ich oft das Gefühl, meine Worte würden das extra-bisschen Wumms verlieren, hätten nicht mehr so viel Aussagekraft. Das scheint ein weit verbreiteter Eindruck zu sein. Sprache nachhaltig zu verändern ist niemals einfach. Auch ich erwische mich nach über zwei Jahren stetiger Weiterentwicklung immer noch bei spontan verwendeten Begriffen, die ich eigentlich ablegen wollte. Deshalb der Hinweis, dass ihr euch Zeit lassen dürft. Als Eltern tragen wir damit aber auch dazu bei, dass zumindest ein Teil unserer eigenen kleinen Welt bald schon inklusiver sprechen kann. Es bedeutet, dass wir Verantwortung für unseren Teil der Vermittlung übernehmen.

inklusive Sprache
Sich mit Schritten annähern an diskriminierungsfreie und inklusive Sprache

Wo fängt man an mit inklusiver und diskriminierungsfreier Sprache?

Also, wenn ihr Lust habt, etwas zu verändern, wo wollt ihr anfangen?
Glaubt mir, es wird immer Kritik geben, die kennen wir Eltern auch aus allen anderen Bereichen unseres Seins. Ich rate euch, auf euer Bauchgefühl zu hören: Was fühlt sich für euch richtig an? Legt euch ruhig vorher schon ein paar Gedanken zurecht. Wenn ihr, wie oben erwähnt, die mit diesen Begriffen transportierten Werte nicht (mehr) vertreten wollt, könnt ihr das auch genau so formulieren. Gerade bei Redewendungen wie der erwähnten KZ-Torschrift ist es eindeutig zu erklären. Wie ebenfalls erwähnt, liegen den problematischen Begriffen oft ganze Netze von Werten zugrunde, die sich noch nachverfolgen lassen. Bei vielen dieser Bereiche fällt es schwer, alle Überreste zu entdecken. Vieles in der Sprache verläuft spontan und unterbewusst nach erlernten Mustern, gegen die wir dann plötzlich ankämpfen müssen (und ja, manchmal ist es ein Kampf). Als kritikerprobte Sprecherin habe ich zuletzt geantwortet, ich wollte eine gewaltfreiere und inklusivere Sprache für mein Kind anbieten, um ein sozialeres Miteinander zu fördern.
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Falls ihr Lust und Interesse am Thema habt, könnt ihr mich diesbezüglich auch gern kontaktieren: auf Twitter @Mama_Huhn, Instagram @maike_huhn, oder per Mail: Maike_Huhn@gmx.de

Falls euch der Text gefallen und / oder geholfen hat, freue ich mich auch über einen virtuellen Kaffee: https://ko-fi.com/mamahuhn

Ich bedanke mich bei Maike für ihren Text mit so vielen Anregungen meine Sprache weiter zu reflektieren.

Wegen ihres Aufrufs zu einem virtuellen Kaffee und Links auf ihre Accounts habe ich diesen Beitrag als „Werbung“ gekennzeichnet. Es gab keine Beeinflussung oder Bezahlung für diesen Beitrag.

Weitere Gastbeiträge von Maike Huhn hier im Blog sind „Arme Ostern“ und ein Beitrag, was Armut für Familien bedeutet „Armes Deutschland„.