Edit: Stand Mittags 24. März ist der Osterlockdown in der Form gekippt (externer Link) worden. Das Grundproblem ist aber unverändert.
Heute gibt es aus aktuellem Anlass zum geplanten Osterlockdown wieder einen Gastbeitrag (der wunderbare Beitrag zu diskriminierungsfreier Sprache ist ebenfalls von ihr) von Maike Huhn, die ihr bei Twitter unter Mama_Huhn finden könnt. Sie machte Dienstag in einigen Tweets darauf aufmerksam, welch katastrophales Timing das für Menschen ist, die von Hartz IV leben und/oder generell von Armut betroffen sind. Ich gebe zu, mir war das vorher nicht bewusst. Für uns ist das mit dem frühzeitigen Einkaufen nur ärgerlich, außerdem befürchte ich durch den Andrang Super-Spreader Events. Wie schlimm es aber für viele Menschen ist, war mir, ehrlich gesagt, nicht klar.
Die Nachrichten aus der Ministerpräsident*innenkonferenz sind nicht nur für den Einzelhandel finster: Über Ostern sollen ab Gründonnerstag (01. April) sämtliche Märkte, auch für Lebensmittel, geschlossen bleiben und bis 06. April auch nicht wieder öffnen (so bisherige Vermutungen, denn konkrete Angaben scheint es nicht zu geben. Samstag, der 03. April ist noch im Gespräch als möglicher Öffnungstag).
Nicht mitgedacht, nicht mitgemeint
Was hierbei offenbar komplett vernachlässigt wurde ist folgende Regelung: Seit etlichen Jahren werden Sozialleistungen in Deutschland zum letzten Werktag des Monats ausgezahlt. In der Theorie soll das Geld in voller Höhe bei den Beziehenden zum letzten Werktag auf dem Konto liegen. Das heißt in diesem Fall: Die Auszahlung von BaFöG, Hartz IV und Renten fiele hiermit auf den 31. März. Der 31. März fällt auf den Mittwoch vor Gründonnerstag, das heißt, dass das Geld für alle, die von diesen Zahlungen abhängen (mehrere Millionen Menschen), ihr Geld an dem Tag erhalten, an dem die Läden zuletzt geöffnet haben. Wer eher Geld bekommt oder Rücklagen hat, kann selbstverständlich eher einkaufen gehen – wer aber nicht einkaufen kann, weil das Geld erst am letzten Tag des Monats ankommt, wird nehmen müssen, was dann noch übrig ist. Jede*r von uns, die oder der schon mal vor einem einzelnen Feiertag einkaufen gegangen ist, kennt den Ansturm auf die Supermärkte. Das passiert auch dann, wenn zum Beispiel der Tag der Deutschen Einheit auf einen Mittwoch fällt – am Donnerstag wäre ja regulär wieder geöffnet, aber am Dienstag geht trotzdem gefühlt die ganze Nachbarschaft nochmal einkaufen, nur für alle Fälle. Nun handelt es sich hier um mehrere Tag und mehrere Feiertage, an denen wirklich alles geschlossen bleiben soll.

Ja, aber Samstag…
Zu der Möglichkeit, dass eventuell am Samstag, den 03. April dann doch einige Läden öffnen dürfen: Natürlich wäre das schön. Zwei Dinge möchte ich hier zu bedenken geben: Erstens kommt es dann darauf an, wie die Läden beliefert und nach den März-Hamsterkäufen bestückt werden können und zweitens, selbst wenn am Samstag eingekauft werden kann, können wiederum ALLE einkaufen, was ebenfalls den Ansturm vergrößert.
Die meisten von uns kennen das von Brückentagen und ohnehin von jedem Ostersamstag. Das ist nichts Neues, und hier aber mit dem Zeitpunkt der Auszahlung so ungünstig zusammengeführt, dass nicht klar ist, ob das schlicht vergessen wurde, als die Beschlüsse gefasst wurden.
Wie realitätsfern in Bezug auf Hartz IV viele Politiker*innen leben, sollte uns spätestens dann klar sein, wenn wir von Nebeneinkünften von 100.000€ reden. Der Bezug zu der Möglichkeit, dass das Geld so sehr fehlen kann, dass der für Mai geplante Corona-Bonus von 150€ von vielen bereits doppelt und dreifach verplant wird, fehlt hier. Selbst wenn es für die Grundnahrungsmittel und ein bisschen Obst und Gemüse reicht, darf eben keine Waschmaschine, kein Herd, kein Wasserkocher kaputt gehen. Kindersachen dürfen dann am besten auch nicht zu klein sein.
Geld ist vor allem für die Menschen immer ein Thema, bei denen es grundsätzlich fehlt.

Hamsterkäufe like it’s 2020 – aber mit Hartz IV Satz
Ihr erinnert euch sicher an letztes Jahr, als es hieß, auch die Supermärkte wären möglicherweise von Schließungen betroffen. Wir, die Bevölkerung, sollten Vorräte anlegen für mögliche Quarantänezeiten, waren als erstes die billigen Nudeln und das Klopapier ausverkauft, in einigen Regionen in Deutschland auch andere Artikel – meist die niederpreisigen Varianten. Wie unsolidarisch teilweise gehortet wurde, war spätestens klar, als auf eBay jemand Hefepäckchen für 12€ anbot, die vielerorts auch ausverkauft war. Im Raum von Social Media wurden Bilder von leeren Regalen und Angeboten auf eBay geteilt. Es schien eine Art apokalyptisches Feeling in der Luft zu liegen, bei dem schnell klar zu werden schien, was im Ernstfall droht: Wer kein Geld hat, bleibt definitiv als erstes auf der Strecke. Sich auf Nudeln zu beschränken, weil das Geld knapp ist, ist gleichzeitig der häufigste und verhassteste Tipp, der armen Menschen immer wieder unterkommt. Das Problem ist aber nicht, dass es „eben mal Nudeln gibt“, sondern dass viele arme Familien ständig Nudeln essen, weil für andere Artikel das Geld fehlt.
(Das ist übrigens keine Einladung zu einer Diskussion, welche Artikel günstig sind, und dass man auch mit Hartz IV Budget gesund essen kann. Spart euch das bitte.)

Solidarität wäre nett – was tun, wenn ich selbst nicht betroffen bin?
Das heißt ganz einfach: Wenn ich nicht viel Geld habe, und der einkommensstärkere Teil der Bevölkerung gehamstert haben sollte, kann ich am Mittwoch das Geld, das dann hoffentlich auf dem Konto liegt, nicht so umfangreich in Lebensmittel eintauschen, wie sonst.
Die billigen Produkte sind dann wohl trotzdem ausverkauft. Daher ging bereits der Appell an alle, die es sich leisten können: Kauft etwas höherpreisig ein. Fragt im Umfeld, wenn ihr zum Beispiel ältere Nachbarsleute habt, oder Alleinerziehende (da ist IMMER das Geld knapp), ob ihr ihnen eine Freude machen könnt. Fragt, wenn sie angesichts der Ankündigung über geschlossene Geschäfte in einen Engpass kommen, ob ihr ihnen was mitbringen könnt. Ich weiß, dass viele der Betroffenen Hilfe nur schwerlich annehmen können. Das hier ist allerdings keine Aufforderung, übergriffig zu werden, und sich aufzudrängen. Helfen können viele Dinge, auch ein Osterhase für die Kinder der Familie, oder ein leckerer Tee für die Eltern, irgendwas, was eben nicht in ein kleines Budget passt, aber Freude macht. Einer Alleinerziehenden habe ich mal anonym einen Einkaufsgutschein in den Briefkasten gesteckt, sie hat nie erfahren, wer das war. Gefreut hat sie sich riesig, denn, wie gesagt – da ist das Geld immer knapp und dennoch gerade dort dringend gebraucht.

Wir sind nicht alle gleich – nicht vor dem Virus und nicht vor der Wirtschaft – die Folgen im Alltag mit Hartz IV
Was ich mit diesem Text illustrieren wollte, ist schlicht Folgendes: Die Sozialpolitik ist für die Zeit der Pandemie eingefroren und an einigen Stellen sogar verschärft.
Zudem haben wir trotz des Versprechens von Peter Altmair sehr wohl erlebt, dass viele ihre (Neben)Jobs durch die Pandemie verloren haben. Trotz Zahlungen in Höhe von 9 Mrd € zur Prävention des Verlustes an Arbeitsplätzen an die Lufthansa, hatte diese noch vor Weihnachten 30.000 Mitarbeiter*innen entlassen. In der Autoindustrie wurden reihenweise Kurzarbeitergelder beantragt und dennoch schütteten viele Unternehmen der Branche zum Ende des letzten Jahres hohe Dividende an ihre Teilhaber aus.
Die zeitweise geführte Diskussion um die Reduktion des ÖPNV hätte ebenfalls wieder jene am heftigsten getroffen, die trotz der Pandemie auf den ÖPNV zum Arbeitsplatz müssten, und dann mit weniger Fahrzeugen automatisch einem größeren Ansteckungsrisiko ausgesetzt wären. Individualverkehr wird in Deutschland zwar groß geschrieben, aber nicht breitflächig gefördert. Die Reduktion des ÖPNV auf dem Land zwingt z.B. viele Menschen in ein eigenes Auto, der wiederum die Umwelt belastet. Das soll auch heißen: Bei vielen Diskussionen um Maßnahmen wird ein kleiner Teil der Bevölkerung bedacht und gefördert, aber die breite Masse an Menschen (auch jene, die z.B. statt im Büro im Home Office sitzen könnte – und damit meine ich alle, die könnten, nicht generell alle) muss offenbar vor der Wirtschaft zurückstecken.
Ansteckungen in Schulen, Kitas und am Arbeitsplatz werden nach wie vor ignoriert und/oder in Kauf genommen und nun kommt dieser Zahltag kurz vor der Supermarkt-Schließung noch oben drauf. Auch dieser Beschluss trifft also überproportional jene, die am meisten auf Solidarität angewiesen wären, und das in einer Gesellschaft, in der soziale Herkunft die Chancen auf ein ökonomisch unabhängiges Leben so hart bestimmt, dass in Grundschulen schon ganze Biografien entschieden werden.
Wo bleiben wir?