CN: Abtreibung
Heute gibt es hier im Blog einen anonymen Gastbeitrag einer meiner Leserinnen. „Jenny“ ist nicht ihr richtiger Name, aber ihre Erfahrung ist ihre erlebte Geschichte. Abtreibung ist ein Tabu-Thema. Aber auch angesichts des neuen „Heartbeat“-Gesetzes (was nebenbei sachlich falsch ist, dass es sich um Herzschlag handle) ein sehr wichtiges Thema. Entsprechend gibt es auch nur ein originales US-Bild von Jenny.
Nicht mit mir – Warum Abtreibung der richtige Weg für mich war
Jenny ist Ende zwanzig, mit zwei Kindern zuhause und lernt einen neuen Partner kennen. Schnell ist sie verliebt, schwebt auf Wolke Sieben – und wird schwanger. Das passt aber alles nicht mit ihrem Leben zusammen.
Jenny lernt ihren neuen Partner Alex über eine Online-Dating-App kennen. In Bars oder Cafés geht sie lieber mit Freundinnen, aber sicher nicht zur Partnersuche. Sie lacht und sagt, sie hat eher ein Händchen für Männer, die nicht zu haben sind. Von der Dating-App verspricht sie sich erstmal nicht viel, ihre Freundinnen haben schon zur Genüge darüber berichtet, was sie dort wohl erwartet. Jenny hat bis zur ersten Schwangerschaft im Grafik-Design gearbeitet, ihre Arbeitgeber waren zufrieden. Relativ dicht nacheinander kamen ihre beiden Kinder zur Welt und nach den Elternzeiten ist sie wegen Betreuungsplatzmagels noch Zuhause. Vom Vater hat sie sich inzwischen getrennt, er kümmert sich mit um die Kinder.
Mama datet Online
Jenny erlebt das, was ihre Freundinnen schon angekündigt haben, in der Mama-Version. Sie schreibt ins Profil, es gibt sie nur als 3-in-1-Paket. Das verstehen nicht alle als Hinweis auf ihre Kinder. Sie hat den expliziten Begriff „Mama“ aus dem Profil genommen, nachdem sie jemanden gematched hatte, der nur nachfragen wollte, was sie als Mama da zu suchen hat. Es ist nicht so schlimm, sagt sie, aber solche oder ähnliche Kommentare kommen noch bei einigen anderen.
Zahlreiche persönliche Fragen kommen direkt im ersten Austausch: Ob sie sich gut mit dem Vater der Kinder versteht? Warum sie ihn dann verlassen hat? Ob sie wirklich noch mehr Kinder will? Warum sie nicht arbeitet? Ob Dating dann nicht das Falsche sei, wenn sie bloß jemanden will, der ihre Rechnungen zahlt?
Jenny bekommt die volle Breitseite an Vorurteilen gegüber Single-Mamas mit kleinen Kindern ab. Nichts davon stimmt so, und nur weil sie sich mit der Trennung arrangiert hat, trauert sie ihrem Ex nicht gleich nach. Das ist nicht fair, sagt sie, und ihre Ausbildung ist durch die Elternzeiten auch nicht weniger wert.
Neue Liebe, neues Glück
Sie möchte gerade aufgeben, da entspinnt sich ein nettes Gespräch mit Alex. Alex ist acht Jahre älter und fragt sie nach wenigen Nachrichten, ob sie sich lieber persönlich kennen lernen wollen. Etwas verunsichert von den vorherigen Erfahrungen fragt sie nach, ob es ihn stört, dass sie zwei kleine Kinder hat. Es kommt ein knappes Nein zurück und sie verabreden sich für Jennys nächste kinderfreie Zeit.
Der Spaziergang ist lang, die beiden reden über Gott und die Welt. Vorsichtig freuen sie sich auf die nächste gemeinsame Zeit. Kurze Zeit später sind beide verliebt, tauschen sogar die Wohnungsschlüssel. Seine Wohnung ist simpel eingerichtet, ihr Leben ist etwas chaotischer. Sie reden über die Zukunft, reden über gemeinsame Pläne, sogar die Idee von einem Baby. Nicht gleich, sagen sie beide. Drei Wochen später hält Jenny einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand.

Ungeplant und auch noch ungewollt
Jenny flucht leise, als der zweite Strich auf dem Teststäbchen erscheint. Alex muss an diesem Morgen sehr früh los, sagt er. Also ist er bald aus der Tür, Jenny fährt kurze Zeit später heim. Am Nachmittag kommen die Kinder vom Papa wieder und sie hat anderthalb Wochen lang die alleinige Verantwortung, er ist auf einer Dienstreise. Die Große geht zur Tagesmutter, aber die Kleine ist noch zuhause bei ihr. Sie hat nicht viel Zeit, sich zu sortieren, und in der folgenden Woche ist von Alex nicht viel zu hören. Wenn sie die Kinder hat, ist er ohnehin sehr still. Ihr kommen erste Zweifel. Nach der Trennung vom Papa hat sie auf hartem Weg lernen müssen, dass sie ihre eigene Kraft gut einteilen muss – sie schreibt Alex, wie schlecht es ihr geht. Er schreibt zurück, er wünscht ihr einen schönen Tag. Jenny lacht ungläubig auf, wenn sie das erzählt. Ab da war für sie klar, dass das Bauchgefühl eindeutig Nein sagt.
Hürdenlauf zur Abtreibung 1
Jenny beschließt auf dem Weg zur Gynäkologin, dass sie den Abbruch für die beste Variante hält. Die Gynäkologin war bisher immer so verständnisvoll. Heute ist sie das nicht. Ob sich Jenny sicher sei, schließlich könne niemand garantieren, dass sie später nochmal unkompliziert schwanger wird, wenn sie ihren Körper jetzt so fordert. Jenny wehrt sich gegen den Gedanken. Das will sie später nachschlagen, im Freundeskreis ist das nämlich kein Hindernis für weitere Schwangerschaften gewesen. Sie besteht auf den Überweisungsschein für den Abbruch. Die Ärztin reibt ihr noch den Puls auf dem Ultraschall unter die Nase. Jenny schaut nicht hin.
Die Ärztin gibt ihr einen Termin zur Mutterschaftsvorsorge, bis dahin wird Jenny sich ja entschieden haben. Sie verlässt wütend die Praxis.
Auf der Liste der Beratungsstellen, die sie noch lieblos in die Hand gedrückt bekommen hat, ruft sie zwei Nummern an. Bei der zweiten hat sie Glück und bekommt schnell einen Termin. Von Alex kommt dazu nicht viel, außer, dass es ihm ja nichts nützt, auf die Schwangerschaft zu pochen, wenn sie das nicht will.
Hürdenlauf zur Abtreibung 2
In der Beratung erfährt Jenny, dass die Erfahrungen bei der Gynäkologin keine Seltenheit sind. Sie hat recherchiert und keinen Anlass für die Behauptung von eingeschränkter Fruchtbarkeit nach einem Abbruch gefunden. Die Beratung verläuft nach Plan und Jenny ist beruhigt, jetzt kann sie einen Termin für den Abbruch vereinbaren. Sie ist ganz froh, dass ihre Gynäkologin den Abbruch nicht selbst anbietet, das Vertrauen ist erschüttert. Sie muss dennoch die drei gesetzlich festgelegten Tage abwarten, erst dann bekommt sie von einer Praxis einen Termin zur Voruntersuchung. In der Zwischenzeit muss sie die Kostenübernahme mit der Krankenkasse klären, das geht zum Glück ganz flott und sie bekommt den notwendigen Schein.
Rechtliche Absicherung einer Abtreibung
Zur Voruntersuchung will die Ärztin vor allem wissen, ob sich Jenny wirklich sicher ist. Ist sie, und die Ärztin beginnt zu rechnen. Jenny ist darauf vorbereitet, dass es für den medikamentösen Abbruch (bis zur 9., max. 10. SSW) bereits zu spät ist. Der Ultraschall bestätigt die Rechnung und es kann ein Termin für den Abbruch vereinbart werden. Jenny bekommt zur Vorbereitung zwei Vaginaltabletten, und umfangreichen Papierkram, sowie die Anweisung, eine Person für die ersten 24 Stunden nach dem Abbruch zu organisieren, die auf sie achtet, falls es unmittelbare Komplikationen gibt. Die Kinderbetreuung ist schnell umgeplant für den Termin und Alex willigt ein, sie bei sich in der Wohnung zu versorgen.
Nach dem Abbruch
Die Prozedur geht flott und Jenny wacht in einem kleinen Raum wieder auf. Erleichtert und zugleich überwältigt weint sie und fragt bei der Schwester nach, ob das normal ist. Diese nickt, hält eine Weile ihre Hand und dann darf Jenny abgeholt werden. Die Nachsorge von Alex ist unbefriedigend und auch irgendwie lieblos, findet Jenny – sie fragt sich laut, warum er dann überhaupt eingewilligt hatte. Enttäuscht fährt sie so schnell sie darf, wieder zu sich nach Hause. Die Beziehung hat einen deutlichen Knacks, aber es scheint, als würde es sich wieder geben. Alex spricht das Thema nicht an, winkt nur ab, wenn Jenny fragt. Er verarbeitet das eben anders, er muss da nicht ewig drüber reden.

Jenny für sich selbst
Jenny hat nicht erwartet, dass Alex sie begeistert begleitet, wenn sie so eine eindeutige Entscheidung für sich trifft. Aber, sagt sie dann, er muss ja auch weder die Schwangerschaft durchhalten, noch muss er gebären, oder im Zweifelsfall mit 3 Kindern klarkommen. Sie hat klar für sich entschieden, und nach der Beratung vor dem Abbruch hat sie im Anschluss an die Prozedur auch die Beratungsstelle nochmal konsultiert. Da konnte sie für sich sortieren, dass sie mit der Entscheidung zufrieden ist und damit sehr gut leben kann. Für einen Moment überlegt sie, runzelt dann die Stirn und meint, sie hätte nach all dem konservativen Framing erwartet, irgendwann so etwas wie Reue zu spüren, aber das Gefühl ist nicht da.
Abtreibung: Schwangerschaftsabbruch im Medienkontext
Die Artikel, die in populären Zeitungen und Magazinen zum Thema erscheinen, sind ihr zu sehr überzogen von Vorurteilen und viel zu selten eine persönliche Sicht von tatsächlich Betroffenen. Auch in der Debatte um die Abschaffung des Paragraphen 219a im StGB fehlt ihr der Raum, tatsächlich oder künftig Betroffene zu hören und respektvoll zu Wort kommen zu lassen. Dabei geht es ihr nicht um die „Werbung“ oder eine „alternative Verhütungsmethode“. Jenny hat im letzten Urlaub eine Niederländerin kennen gelernt, die ihr die Möglichkeiten ihres Heimatlandes gezeigt hat: niederschwellige Aufklärung, Zugang zu Verhütungsmitteln und legale Abtreibung. Die Niederlande haben damit eine der geringsten Abtreibungsquoten in ganz Europa.
Jenny seufzt hörbar und sagt dann, dass sie sich genau das im viel zu konservativen Diskurs um den Schwangerschaftsabbruch wünscht: Vorsorge und Nachsorge und eine Aufklärung, die alle Beteiligten ins Boot holt, denn, so fügt sie schief grinsend hinzu, so eine Schwangerschaft entsteht ja nicht beim Soloflug.
Allein, allein
Jenny fasst für sich zusammen, dass sie die Entscheidung als austragende Person allein getroffen hat. Das war nur logisch, als ihr bewusst wurde, dass sie mit den Folgen sehr wahrscheinlich alleine würde leben müssen. Neben Alex‘ Freude fiel nämlich auch der Satz, dass er mit ihr nicht zusammenziehen wird, solange sie Sozialleistungen bezieht, wenn auch nur ergänzend. Da sie das Leben als Alleinerziehende bereits kennt, weiß sie von den ungeschönten Erlebnissen im Alltag. Sie kennt die kräftezehrenden Tiefs, den finanziellen Druck besonders nach der Elternzeit, und sie kennt sich selbst sehr gut. Sie ist sich der Verantwortung sich selbst und auch den bereits vorhandenen Kindern gegenüber bewusst und hat nach bestem Wissen und Gewissen entschieden.
Jenny ist auch über zweieinhalb Jahre nach dem Abbruch nie an den Punkt gekommen, Alex nachzutrauern. Sie ist zufrieden mit sich und ihrem Leben.
Danke, liebe Jenny, dass Du Deine Geschichte mit uns geteilt hast. Den Eingriff kenne ich selbst, bei meiner Fehlgeburt wurde auch eine OP vorgenommen. Das Krankenhaus sagte damals, da sie katholisch seien, würden sie nur eine medizinisch indizierte Abtreibung vornehmen.