Heute gibt es wieder einen Gastbeitrag der wunderbaren Autorin Maike Huhn, sie hat bei mir auch schon über Armut und über inklusive Sprache geschrieben, heute schreibt sie über das Leben im Patchwork als Wechselmodell:
„Eltern werden, Paar bleiben“, las ich mal auf einem Ratgeber im Buchladen. Ich befand mich gerade in Trennung und hatte gefühlt meine Vorstellung von Familie aufgeben müssen. Ich wollte doch bloß, was die Werbung verspricht: eine glückliche Paarbeziehung, die auch als Eltern weiter funktioniert. Letztlich habe ich genau das gefunden, nur eben nicht da, wo ich zuerst gesucht hatte.
Der Weg zum Wechselmodell
Trennung vom Kindsvater und Burnout gingen bei mir Hand in Hand und ich war bei den meisten Sachen auf mich gestellt. Kurz gesagt hatte ich nach einem Jahr als alleinerziehende Studentin mit einem dann zweieinhalbjährigen Kind keine Kraft mehr, mich gegen das Wechselmodell zu wehren und willigte doch ein. Damit mussten wir das Kindergeld teilen, wozu ein gemeinsames Konto ins Leben gerufen wurde. An dieser Stelle decken sich einige Faktoren mit dem zweiten Wechselmodell, also dem meines Partners. Auch da teilen sich die Eltern ein Konto, um alle Kosten fürs Kind zentral und transparent zu decken.
Du lebst auch im Wechselmodell?
Bei der Partnersuche war das für mich sicher kein Kriterium, nach dem ich sortiert hätte, aber das war doch schon etwas Besonderes: etwa gleichaltriges Kind, etwa gleiche Zeit seit der finalen Trennung vom anderen Elter, gleicher Wechselrhythmus, sogar gleicher Wechseltag. Dieses explizite Verständnis der Situation hat uns mit Sicherheit den Aufbau der Paarbeziehung enorm erleichtert. In einer Woche hatten wir unsere Kinder in den getrennten Wohnungen und in der anderen konnten wir uns auf uns konzentrieren.

Schritt für Schritt in Richtung Wechselmodell-Patchwork
Mit der Zeit konnten wir uns beide vorstellen, die Wechselmodelle miteinander zu verbinden. Schritt für Schritt tasteten wir uns heran: Erst lernte ich bei einer außerplanmäßigen Betreuung mein Bonuskind kennen, dann lernte mein Partner mein Kind kennen, und schließlich waren wir nach drei Monaten Beziehung so weit, dass wir beide Kinder mit in den Zoo nahmen. Ganz stolz kauften wir unsere erste Familienkarte. Wir hatten mit einer, vielleicht zwei Stunden gerechnet, die wir mit den Kindern dort verbringen wollten zum ersten Beschnuppern. Immerhin hing an diesem Treffen für uns Eltern eine Menge Bedeutung. Letztlich verbrachten wir über vier Stunden im herbstkalten Zoo und auf dem Rückweg schliefen die Kinder beide sofort im Auto ein.
Wechselnde Dynamik
Die jeweiligen Ex-Partner*innen reagierten unterschiedlich auf die neue Beziehung. Während die Mutter von unserem kleinen Kind, „Cupcake“, sich in einer längeren Beziehung befand, war der Kindsvater vom großen Kind, „Muffin“, kurz nach mir in einer neuen Beziehung. Die Elternebene von Muffins Vater und mir wurde damit stark erschüttert, zumal Muffin zu dieser Zeit eingeschult wurde, und sich so alle Bereiche des Kindes auf einmal veränderten. Cupcakes Mutter nahm es gelassen, wollte mich nach dem Zoobesuch dann aber auch kennen lernen, was entspannt lief.
Mit der Paarbeziehung versuche ich nun, unsere Wechsel an die Wechsel meines Partners anzupassen, der sich nach dem recht starren Dienstplan von Cupcakes Mutter richtet. Muffins Vater wehrte sich eine Weile nicht nur komplett gegen jegliche Kommunikation, sondern auch gegen meinen Wunsch, seine neue Partnerin kennen zu lernen. In dieser Zeit wurde meine Paarbeziehung sehr gefordert, weil wir pausenlos mindestens ein Kind und die angrenzenden Baustellen zu bearbeiten hatten.

Paarbeziehung „on the fly“ im Wechselmodell
Das Anstrengende gegenüber früheren Beziehungen ohne Kind ist, dass wir bereits Eltern sind und waren, bevor wir uns kannten. Es hing jeweils schon eine kleine Person mit einem weiteren Elter an der Person, in die wir uns da verliebt hatten. Der große Vorteil war für mich zunächst, dass mein Partner die Situation kannte und im Vergleich zu vielen anderen Vätern deutlich mehr Einblicke in die (all)tägliche Fürsorgearbeit hatte. Nun kommen hier unterschiedliche, jeweils etablierte Regelwerke zusammen, auch für die Zeit ohne Kinder. Während wir vor dieser Beziehung eine Woche jeweils für uns hatten, und eine Woche mit Kind quasi alleinerziehend waren, wurde daraus ein Wochenwechsel aus Paarzeit und Kinderzeit. Der Beziehung ist das sicher enorm zuträglich, aber wo bleibt eigentlich der Haufen an sogenannter Me-Time? Die Hobbys und sonstigen Beschäftigungen lassen sich teilweise verbinden, wenn es zum Beispiel ums Filme-schauen geht. Anders sieht das bei langen Arbeitstagen oder der Pflege von Freundschaften aus, wenn wir abends die Zeit zusammen und nicht am Telefon mit Dritten verbringen. Eine Person beneidete uns übrigens um die jeweiligen kinderfreien Wochen – ohne zu bedenken, dass uns die exklusive und alltägliche Paarzeit „vor den Kindern“ eben fehlt.

„Das klingt voll anstrengend“
Auf meine Beschreibung unserer Reflexionsgespräche wurde unter anderem recht ablehnend reagiert – das sei doch voll anstrengend. Ja, das ist es tatsächlich. Anders als bei anderen Eltern müssen wir aber wirklich „unterwegs“ noch abstimmen, wie wir künftig Dinge, Regeln, Konflikte, handhaben wollen. Es gab mehr als genug zu diskutieren, denn sein Wechselmodell war quasi unbeobachtet gelaufen – im Freundeskreis gibt es kaum getrennte Eltern, und eben keine im Wechselmodell. Meine Reichweite und meine Social Media Nutzung hatten mir da wohl einen Feedback-Vorteil verschafft. So prallten zwei sehr unterschiedliche Regelwerke aufeinander. Es war alles noch im Rahmen, aber brachte uns oft genug in Situationen, in denen wir genauer definieren mussten, wie wir uns Elternschaft vorstellen. Auch mussten und müssen wir immer wieder neu definieren, wie Kompromisse aussehen können.
Unsere Gespräche zur Erziehung und Anpassung der Stile hatten wir zunächst nach den ersten Familienwochenenden. Mit den etwa zwei Monaten, in denen die Modelle nicht parallel liefen, haben wir das dann nochmal neu sortieren müssen, konnten dabei aber die Kinder einzeln genauer betrachten und begleiten. Immerhin haben sich die Beteiligten und ihre Bedürfnisse verdoppelt.
Was ich an meinem Partner sehr schätze, ist seine Offenheit für teils sehr grundlegende Kritik, und seine stete Bereitschaft, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen. Seine Beobachtungen haben mich wiederum in vielem bestärkt und mir an vielen Stellen neue Wege eröffnet. Auch mussten wir unsere Tonfälle und Formulierungen weiterentwickeln, sodass wir inzwischen einen meiner Meinung nach sehr offenen Dialog führen können.

Wer macht hier eigentlich die Regeln?
Eine der Besonderheiten beim Patchwork ist, dass mehrere gleichzeitige Bedürfnisse aufeinandertreffen und neu priorisiert werden müssen. Nun haben wir zwei Einzelkinder, die zudem vor allem die elterliche Aufmerksamkeit weniger bis gar nicht teilen mussten und nun plötzlich für die Wochenenden sogar ihre Zimmer/Rückzugsorte nicht mehr für sich allein haben. Das Konfliktpotential ist uns durchaus bewusst und die Regeln waren ziemlich genau auf die Bedürfnisse des jeweiligen Kindes abgestimmt. Das ist nicht immer fair dem anderen Kind gegenüber, daher haben wir einige Regeln angepasst und versuchen grundlegend, eine Linie zu fahren. Eine der Regeln, die es bei mir dringend brauchte, war zum Beispiel, dass am Tisch kein Hörspiel gehört wird. Das kann ich akustisch nicht verarbeiten und die Stimmen nicht ausblenden. Von meinem Partner kam das striktere Durchsetzen von Abläufen und einigen Kleinigkeiten, was ich allein bei meinem Kind nie probiert hatte. Neulich ließ ich verlauten, dass ich jetzt erst erfahre, was es bedeutet, gemeinsam Eltern zu sein, und es ist eine echte Erleichterung. Zudem lassen sich die Kinder inzwischen auch von beiden Erwachsenen etwas sagen.
Drei Zuhause für jedes Kind im Wechselmodell-Patchwork?
Während wir noch nicht zusammen wohnen, wechseln wir immer mal die Wohnungen. Der große Vorteil ist, dass wir damit den beiden Kindern noch ein wenig Sicherheit geben können und uns langsam an einen gemeinsamen Alltag herantasten. Ein drittes Zuhause in dem Sinne ist die jeweils andere Wohnung aber noch nicht, und das ist auch okay so. Da eine der Wohnungen größer ist, verbringen wir tendenziell mehr Zeit dort und auch als es mir mit meinem Fuß so schlecht ging, dass ich nicht mehr richtig laufen konnte, haben wir eine Woche unter Extrembedingungen zusammen gewohnt. Perspektivisch sollen die Kinder ihre jeweiligen Rückzugsorte unbedingt behalten, was wir ihnen öfter versichern. Der Zustand von einem „Gastkind“ im Kinderzimmer soll nicht von Dauer sein.
Beide Kinder genießen den Luxus von jeweils zwei Zimmern, dennoch gibt es beim Spielzeug klare Favoriten (Klemmbausteine) und immer wieder das „Gastkindgefühl“, vor allem wenn das Kind, das gerade zuhause ist, sein Zimmer oder Spielzeug nicht teilen will. So umsichtig es geht, versuchen wir diese Konflikte zu begleiten und als Übergangsphase begreifbar zu machen.

Was sagen eigentlich die Kinder?
Von Anfang an haben wir sehr großes Glück, dass die Chemie zwischen den Kindern stimmt. Sicherheitshalber hatte ich mir das Geschwisterbuch von Katja Seide und Daniele Graf geholt und darin ein wenig Rückhalt auch für unsere Situation gefunden. Im Grunde lernen sich ja auch hier zwei potentielle Geschwister erst mal kennen, mit dem Unterschied, dass keines davon ein Baby ist. Die Veränderung für die Kinder ist aber ähnlich immens und wie bereits beschrieben, schlägt es auch auf Elternebene Wellen.
Ein Running Gag der Kinder ist es, jedes mal „GEKÜSST!!“ zu rufen, wenn wir körperliche Nähe genießen. Neben dem Kuscheln zwischen uns Eltern gibt es auch Überschneidungen, wer bei wem Nähe sucht. Dabei versuchen wir stets, den Kindern zu signalisieren, dass zwischen uns Eltern eine für sie neue sichtbare Ebene entsteht, keine Rivalität zu ihnen. Während Muffin mich zum Kuscheln ungern mit dem anderen Kind teilt, möchte Cupcake den Papa lieber nicht mit mir teilen müssen. Beide Wünsche sind nachvollziehbar und auch wenn eine grundsätzliche Akzeptanz zwischen allen Beteiligten besteht, gibt es immer wieder kleinere Anpassungsschwierigkeiten. Wir Eltern sind bemüht, die Stimmungen der Kinder aufzufangen und das jeweilige Bonuskind „lesen“ zu lernen. In einigen Punkten gibt es sogar einen Elterntausch für die jeweilig bevorzugten Beschäftigungen der Kinder, wovon wir Erwachsenen genauso profitieren. Da fädele ich Perlen mit Cupcake, während Muffin sich von meinem Partner bei der Konstruktion einer Brücke aus Klemmbaustein-Teilen helfen lässt.
Zukunft im Wechselmodell Patchwork
Wir Erwachsenen jonglieren effektiv jeder vier gleichwertig verantwortungsvolle Beziehungen: zu Partnerperson, ehemaliger Partnerperson, eigenem Kind und Bonuskind. Das ist eine Menge Arbeit, und an manchen Stellen sehr kräftezehrend, zumal vieles mehrfach kommuniziert werden muss, bis wirklich alle Beteiligten im Bilde sind. Dabei kann es in Ausnahmefällen passieren,dass die ein oder andere Sache eben nicht gleich für alle klar ist. Was mich in einer Elternberatung zu einem anderen Thema tatsächlich beruhigt hat, war der Satz, dass Patchwork bis zu fünf Jahre brauchen kann, bis es reibungslos funktioniert. Ich bin sehr stolz, dass wir bald ein Jahr davon geschafft haben und hoffe sehr, dass wir aus den „bumps“ der letzten Monate viel für zukünftige Situationen gelernt haben. Durch meine Jobsuche liegt die Wohnungssuche derzeit auf Eis, aber das wird sich hoffentlich zeitnah geben. Wir möchten die Kinder damit nicht überrumpeln, sehen aber auf der anderen Seite das Konfliktpotential, was sich aus aktuellen Sätzen wie „Das ist aber mein Zimmer!“ ergibt. Im Gespräch sind dafür geplant-getrennte Wochenenden, Nachmittage mit Exklusivzeit oder sogar die Anpassung des Wechselrhythmus von Muffin zu zwei Wochen statt einer. Das würde nachhaltig das ganze Familienleben neu sortieren, macht uns aber unabhängiger von den eventuell anstehenden Wechseln aufgrund von Cupcakes Mutter und ihrem Dienstplan.
Es wird in jedem Fall eine aufregende Zeit!
Danke für den interessanten Beitrag!
Wir haben es vor knapp 2 Jahren auch mit dem Wechselmodell versucht, mein Sohn war da 11,5 Jahre alt. Nach einem Jahr haben wir es aufgegeben, da der Sohn sich wie ein Reisender vorkam und die Harmonie zwischen Vater und Sohn schwierig war. Seine neue Partnerin ist Mitte 50, ohne Kinder oder Geschwister und die Prioritäten im Leben sind völlig anders. Das Verständnis für einen Pubertierenden fehlte auch völlig. Zudem fand der Sohn es für Verabredungen schwierig, den Freunden immer wieder zu sagen, wann er wo ist. Abstimmungen unter uns Eltern waren auch sehr kompliziet.
Seit Weihnachten lebt er also komplett bei mir und sieht den Vater nur noch stundenweise. Nicht schön, aber nicht zu ändern. Leider hat der Vater schriftlich noch nicht die Abweichung vom Wechselmodell dokumentieren wollen, was finanziell nicht doll ist. Dafür hab ich aber mein Kind und wir sind ein super Team! Klar ist Privatleben für mich mit dieser Konstellation und Vollzeitjob im Hintergrund, aber es funktioniert und der Sohn geht mit nun fast 13,5 ja auch immer mehr seine Wege. Mein Freund hat Jungs im Alter von 14 und 17, passt gut, aber er wohnt 50 km entfernt. Zusammenziehen erstmal ausgeschlossen, da die Jungs alle weder Schule noch Freunde „wechseln“ wollen. Aber wir sind uns einig, dass hier der Wille der „Kids“ zählt, wir finden dank familiärem Support aber auch unsere Zeiten und Nischen. Und dann wird unsere Zeit als Paar eben erst in ein paar Jahren wiederkommen. Egal welches Modell man nach der Trennung wählt, erstmal zählen die Kinder.