Unser Großer geht inzwischen in die 2. Klasse, da in NRW der Stichtag der 30.9. ist. Ich „freue“ mich immer über tolle Artikel in den Medien, wo sich „Redakteure“ in Ignoranz der Rechtslage anderer Bundesländer über böse Eltern ereifern, die ihre armen Kinder mit 5 in die Schule schicken. Ach? Denkt jemand, dass wir das freiwillig getan haben? In einigen Bundesländern scheint Rückstellung relativ leicht zu sein oder es gelten andere Stichtage. Wir mussten einen 5-Jährigen, der definitiv im KiGa besser aufgehoben wäre, in die Schule schicken, er war ein normaler fitter 5-Jähriger.
Der Stichtag der Schulpflicht
Die Einschulungsuntersuchung zielt rein auf kognitive und motorische Fähigkeiten. Ob ein Kind emotional reif genug ist, interessiert keinen. Wie uns schon Erzieherinnen sagten, für Rückstellung sei er „zu schlau“, wir reden hier von keinem Überflieger, sondern einem normal entwickelten Kind. Abgesehen davon, es gilt Inklusion. Selbst bei Problemen wäre er eingeschult werden. Es gibt Studien, die zeigen, dass zu früh eingeschulte Kinder, die völlig altersgerecht sind, fälschlich mit ADD etc. diagnostiziert würden.
Ohne seine Privatsphäre zu verletzen: nein, das erste halbe Jahr war nicht schön. Wenigstens hatte er kognitiv keine Probleme. Aber ihm ging es nicht gut und uns somit auch nicht. Er hätte definitiv von einem Jahr mehr KiGa profitiert. Abgesehen davon, wenn es beim Abi nach 12 Jahren bleibt und er es alles nach Plan durchläuft, wird er sich weder selbst in der Uni Einschreiben dürfen noch einen Ausbildungsvertrag unterschreiben oder Auto fahren. Als Mama trifft es mich aber, wenn so getan wird, als hätten wir ihm das willentlich angetan.
Warum ist der Stichtag so spät im Jahr? In meiner Schulzeit waren die Jüngsten im Juni geboren, jetzt Ende September. Er ist in seiner Klasse der Jüngste, wenigstens hat er das Glück groß zu sein, anderseits halten ihn Leute gern für älter und haben überhöhte Erwartungen.
Das Problem mit der Inklusion
Kommen wir zum nächsten Punkt, der Inklusion. Der Grundgedanke ist super, dass Kinder mit unterschiedlichen Fähigkeiten und eben auch behinderte Kinder zusammen lernen. Also ganz theoretisch. Allerdings geht es auch in Medienberichten meistens nur um körperlich behinderte Kinder, die eben auch oft Inklusionskräfte bekommen. Ein blindes oder gehbehindertes Kind stört aber eben nicht den Unterricht, in diesen Fällen profitieren sicher beide Seiten und es bestehen keine Nachteile.. Völlig ignoriert zu werden scheint die Tatsache, dass es eben auch sozial-emotional auffällige Kinder gibt. Die werden ebenfalls einfach mal in die Regelschule geschickt. In der Klasse des Großen waren zu Beginn 26 Kinder. Dann kam noch ein Kind mit Lernschwierigkeiten hinzu. Aber eben kein extra Lehrpersonal. Ebenfalls in der Klasse, wie vermutlich in fast jeder Klasse, ist ein Kind mit massiven Problemen. Mein Kind erzählt von Beschimpfungen gegenüber der Klassenlehrerin und Mitschülern. Dazu flogen schon Stühle durch die Klasse, es werden Kinder verprügelt, ein Mitschüler wurde gewürgt. Sie haben eine wunderbare, kompetente und engagierte Klassenlehrerin, aber auch da sind eben Grenzen dessen, was sie leisten kann bzw darf. Sie darf so ein Kind nicht anfassen, sie reagiert immer adäquat. Mein Kind und andere werden gestört beim Lernen, ein Kind zerstört mit seiner Aggression Feiern und Ausflüge. So sieht Inklusion eben leider auch aus. Es gibt kein Personal, nicht einmal eine Inklusionskraft. Ohnehin besteht extremer Lehrermangel, teilweise müssen Lehrer zwei Klassen gleichzeitig unterrichten. Die Mühlen der Behörden mahlen langsam oder gar nicht? Auskunft darf man uns nicht geben. Aber weder ist dem Kind geholfen, wenn es so weiter geht, noch irgendwem anderen. Dieses Kind braucht Hilfe, es ist sicher kein Kind absichtlich so aggressiv. Lehrer müssen sich beschimpfen und nach Aussage meines Großen auch einmal körperlich angreifen lassen. Andere Kinder würden bedroht und attackiert. Die Theoretiker, die die Schulpolitik machen, haben doch vermutlich solche Situationen nie selbst erlebt. Jeden Tag geht das so. Unsere Lehrer leisten unfassbar gute Arbeit. Ich sehe hier aber die Grenzen der Inklusion, es fehlen Sonderpädagogen, Sozialarbeiter und Inklusionskräfte.
Es sind viel mehr Investitionen nötig – in die Zukunft unserer Kinder
Warum investiert man nicht mehr in unsere Kinder? In ihre Bildung und ihre Chancen? Inklusion ist eine tolle Idee, aber so, wie es grade läuft, ohne Personal und eben ohne entsprechende Ausbildung und Kapazitäten, ist es eine Katastrophe. Es leiden am Ende alle Beteiligten. Sowohl Kinder mit Problemen, die eine andere Lernumgebung bräuchten oder eben Fachleute, die sich um sie kümmern, die Lehrer, die täglich über das normale Maß hinaus gefordert werden, Kinder, die auch mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung bräuchten und alle anderen Kinder, die nur in Ruhe dem Unterricht folgen wollen, auch. Ich bin beeindruckt, wie die Lehrer an unserer Schule trotz dieser Bedingungen so gute Arbeit leisten und sich jeden Tag diesen Herausforderungen stellen und kämpfen und dabei tollen Unterricht machen und unseren Kindern so viel mitgeben und trotzdem so viel oft unberechtigte Kritik einstecken müssen. Ich bin für Inklusion, natürlich. Aber eben durchdacht und nicht so, wie es teilweise läuft.
Wie sind Eure Erfahrungen? Was müsste sich ändern?