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Asperger Syndrom – verändert die Diagnose Autismus überhaupt etwas? Mein Mann ist Autist

Disclaimer: ich bin Laiin und gebe hier meine Perspektive als Partnerin wieder, die natürlich sehr subjektiv ist. Auch sind nicht alle Menschen mit ASS gleich, sondern alles hier gilt für unsere individuelle Situation. Es geht um das Asperger Syndrom.

Unser Umfeld hat es schon länger verfolgt. Bisher war es ein Thema offline. Aber es beeinflusst unser Leben sehr. Der Bizzidad hat das Asperger Syndrom, das gehört zum Autismus Spektrum. Dass er anders als neurotypische Menschen tickt, war mir relativ schnell bewusst, als wir uns kennengelernt haben. Er hat aber relativ gut kompensiert. Manches war halt seltsam. Ihn irritiert es beispielsweise nicht, wenn er etwas falsch versteht (passiert oft). Ich nannte es immer „Instanz im Hirn“, die doch einem üblicherweise sagt, wenn etwas keinen Sinn ergibt und man mit ähnlich klingenden Wörtern abgleicht. Dass er keine Freunde hat, nur entfernt Bekannte, fiel mir auch eine Weile nicht auf. Denn im Studium waren eben alle vor Ort. Danach verloren sich Kontakte oder liefen über mich. Meine Bindung an Freund*Innen hat er nie verstanden. Neulich fragte er mich auch wieder, warum ich mit jemandem befreundet sei „weil Ihr Euch so lange kennt?“.

Autismus fernab vom Klischee – Asperger Syndrom

Ich gebe zu, lange hatte ich auch ein klischeebehaftetes Bild von „dem Autismus„. Dass es ein Spektrum ist und dass Asperger Autisten schon gar nicht diesem Klischee entsprechen, dass sie technisch begabt seien (im Gegenteil bei ihm) und keine Gefühle hätten (stimmt ohnehin nicht). Die Reaktion im Umfeld war auch oft eher überrascht. Vielsagend fand ich aber auch die erste Antwort eines guten Freunds, dessen Fachgebiet es sogar ist: „ich kenne ihn kaum“. Er kennt ihn, seit ich mit Bizzidad zusammen bin. Wir waren sogar gemeinsam im Urlaub. Bizzidad wirkt auf Fremde oft schüchtern und zurückhaltend. Denn, wie ich nun weiß, kann er oft chaotischen Gesprächen quer durch Gruppen nicht gut folgen. Blickkontakt (wieder Klischee…) hält er mit mir. Menschen halten ihn für ruhig und diplomatisch.

Asperger Syndrom - Asperger Autist - Autismus Spektrum
Seit 18 Jahren ein Paar

Mental Load und Familienleben

Seit Jahren merke ich aber auch, dass Diskussionen mit ihm so sind, dass ich auch mit einer Wand reden könnte. Er hat eine Meinung und die ist „ich will aber (nicht)“ und ich habe eine Reihe sachliche Argumente, die komplett abprallen. Auch hielt er „Mental Load“ für einen Modebegriff. Denn er erfasst es nicht. Als die Kinder klein waren, waren die Aufgaben und Lösungen klar. Ein weinendes Baby wurde gewickelt, gefüttert und getragen und viel bekuschelt. Das liegt ihm. Aber was Familienleben und die Verantwortung für drei Kinder bedeutet, das sieht er oft nicht. Es ist kein böser Wille, sondern passt nicht in seine Denkstrukturen. Ich entstresse seit Jahren seinen Alltag, aber beispielsweise bei Urlauben packe ich für 4 Personen alles plus die Sachen, die wir alle brauchen. Er packt nur seine Kleidung und ist gestresst. Termine habe ich im Kopf oder weiß, wo sie stehen. Ich höre immer die Sätze „das wusste ich nicht“ und „das hat mir keiner gesagt“. Für ihn sind Dinge, die für mich naheliegend sind und die ich auf dem Schirm habe, eben nicht logisch und klar.

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Familienzeit

Er liest geduldig vor, baut Lego und liebt unsere Kinder. Im Gegensatz zu mir stören ihn auch Nachts keine Kuschelkinder. Wir unternehmen gerne was als Familie. Auch im Sandburgen bauen und Abendspaziergängen ist er großartig. Dass er Hausaufgaben der Kinder auch nachgucken muss, kommt dagegen für ihn überraschend. Oder dass die Kinder es ausnutzen, wenn sie bei ihm wissen, dass mit Heulen und Kreischen eine mindestens 50% Wahrscheinlichkeit besteht, ihren Willen zu bekommen. Denn, wenn es ihm zuviel wird, gibt er meistens nach.

Und dann kam der Lockdown

Dezember 2019 war ich nach einem Streit so weit, dass ich gehen wollte. Denn er überschreitet (nur verbal!) Grenzen und lässt sich dann nicht mehr bremsen. Was sich inzwischen auch mit dem Asperger Syndrom teilweise erklärt, wieso er so ist. Auch, dass, je weiter er im Unrecht ist, desto aggressiver reagiert. Mache ICH etwas falsch, reagiert er entspannt. Dann kam aber 2020 die Pandemie. Auch da gab es vorher Streit, dass er noch nach Mexiko geflogen ist und jegliche Argumente meinerseits ignoriert hat. Als er zurück kam, war plötzlich alles entspannt. Sogar wieder richtig schön und harmonisch bei uns. Während ich die verringerten sozialen Kontakte und das fast nur unter uns sein total belastend fand, war er bestens gelaunt. Miteinander hatten wir eine echt schöne Zeit, seltenst mal Streit. Er sagt im Nachhinein, dass er den Lockdown gut fand.

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Brote werden minutenlang so bestrichen, dass der Belag eine gleichmäßige Oberfläche ergibt

Und dann ging bei uns gar nichts mehr.

Anfang 2021 kamen immer mehr Lockerungen und ich habe mehr Stunden extern gearbeitet. Er arbeitete also 40 Stunden die Woche und ich 30 Stunden. Dazu eben Haushalt und Kinder, was zu 90% (der Große meint, das sei großzügig von mir) meine Aufgabe war. Bizzidad schien zu erwarten, dass alles für ihn so bleibt, wie es ist. Nur, dass ich mehr Geld verdiene als vorher. Aber überall veränderte sich das Leben und die Kontakte nahmen zu. Im Mai habe ich mal 4 Tage auf dem Sofa geschlafen, nachdem es „Streit“ gab. Ich weiß nicht mal einen Begriff dafür. Er teilt verbal übelst aus und ist für keinerlei Sachargumente mehr offen. Es macht mich hilflos und wütend. Das nahm auch immer mehr zu. Für mich teilweise einfach nur absurd, was da für Vorwürfe und aus meiner Sicht völlig verzerrte Wahrnehmung kamen. Im Herbst ging es keine 48 Stunden gut, ohne, dass es einen Eklat gab.

Er hat sich dann aber im Laufe des Sommers selbst damit befasst und Diagnosetests gemacht. Die zeigten sehr deutlich, dass er auf dem Autismus Spektrum sei und Kontakt zu einem Experten zwecks Diagnostik aufnehmen sollte. Teilweise verstand er auch die Fragen nicht, weil Dinge für ihn keinen Sinn ergaben. Er nimmt Dinge wörtlich.

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Über 40 Jahre lang hat niemand seine speziellen Eigenheiten irgendwie mal addiert

Auf dem Weg zur Diagnose Asperger

Über meinen oben genannten Freund bekam er Ansprechpartner in Kliniken, die er dann kontaktiert hat. Die eine Klinik wollte eine Begründung per Mail. Nachdem er schrieb, war die Länge der Warteliste kein Thema mehr und er bekam schnell einen Termin. Dieser wurde leider zweimal verlegt. Aber schon beim ersten Termin kam er mit der sehr wahrscheinlichen Diagnose Asperger Syndrom zurück. Für keinen von uns mehr überraschend. Denn in Gesprächen mit mir kamen doch so viele Dinge, die man als „typisch“ Autismus-Spektrum sieht, die er aber Jahre gut überspielt hat. Er ist hochintelligent und hat sich Verhaltensweisen angewöhnt. Irgendwie brach dieses „Masking“ oder „Camouflage“ aber durch Corona zusammen. Er musste dieses Camouflage im Lockdown kaum anwenden. Zuhause fällt ihm Verhalten, das neurotypisch aussieht, weniger schwer. Dazu kommt eben, da ich so lange mit ihm zusammen bin, dass ich generell keinen Subtext habe. Ich sage exakt das, was ich meine. Das macht es für ihn einfacher. „Ist mir egal“ bedeutet bei mir „egal“ und nicht „hach, frage mich noch 3x und finde raus, was ich will“.

Die Diagnose wurde dann bestätigt. Er ist Asperger Autist. Überraschend ist daran nichts.

kreativer Autist
Bizzidad macht die tollsten, kreativsten Schatzsuchen

Stärken und Schwächen mit Asperger

Manche seiner Probleme gehen hier zu weit fürs Blog. Aber es beeinträchtigt unseren Alltag immens. Besonders, da ich oft die Verantwortung für die Kinder alleine trage. Aber er hat auch Stärken. Er gehört zu den kreativen Autisten. Niemand macht so tolle Schatzsuchen wie er. Allerdings hieß das beim Geburtstag des Mittleren beispielsweise, dass der Große und ich die komplette Feier alleine vorbereitet haben, der Große noch 2x in den Supermarkt lief, weil Bizzidad essentielle Dinge vergessen hatte, während er eben 2 Stunden in Seelenruhe die Schatzkarte malte. Typisch ist nämlich, dass er Relevantes nicht von Irrelevantem unterscheiden kann. Die Küche ist ein Schlachtfeld, er sortiert eine Schublade neu. Generell gibt es bei ihm für alles immer zwei Kategorien. Schwarz vs. Weiß. Nie Grauzonen. Es gibt perfekte heile Ehe vs. Scheidung. Er ist loyal und uneifersüchtig. Seine Familie, also wir, sind für ihn der Mittelpunkt.

Ein Beispiel für sein Verhalten ist, dass sein Bedürfnis, nicht in einen Fast Food Laden zu gehen, weil es ihn überfordert, über meiner Sicherheit in der Situation stand. Da gibt es für ihn auch keinen Austausch an Argumenten. Darüber habe ich im Sommer (übrigens mit seinem Einverständnis) gebloggt.

Er weiß alle Autobahnausfahrten zwischen Berlin und NRW in der richtigen Reihenfolge. Hat aber keinerlei Orientierungssinn. Er kennt etliche Stadtpläne auswendig und liebte als Kind Atlanten.

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Er kann auch immer sehr gut über sich lachen, Selbstironie ist bei ihm redeeming quality – es spiegelt sich nämlich, dass er Landkarten guckt

Immer schon Asperger Autist

Er ist sein Leben lang schon Autist. Ich kenne ihn nicht anders. Es ist eben jetzt erst aufgefallen, weil er durch seine Intelligenz recht unauffällig ist. Ich bin seine erste und einzige Beziehung. Er ist nett und witzig und durch Schule, Studium oder Job hat er soziale Kontakte. Dass privat sonst alles meine Kontakte sind, fällt kaum wem auf. Aber jetzt ist nichts anders oder neu, es ist nur jetzt klar, warum er sich anders oder „komisch“ verhält.

Vieles erfahre ich jetzt erst. Er kann nicht filtern. Daher hört er Dinge, die ich komplett ausblende. Wenn eine Tram vorbei fährt, kann er einem Gespräch nicht mehr folgen. Er hört auf entfernten Autobahnen, ob Autos den Gang raus nehmen. Er kann die Schritte unterschiedlicher Menschen unterscheiden. Aber nicht die Stimmen. Neulich erzählte der Kleine von einem Kind, das in der Schule einen Wackelzahn verloren habe. Dazu erzählte der Große, er habe einen wackelnden Backenzahn. Bizzidad wies den Kleinen darauf hin, dass es nicht sein könne, dass sein Backenzahn wackle. Der Große fragte irritiert, ob Papa gemerkt habe, dass er rede.

Er ist kein anderer Mensch und er hat erfolgreich Abitur gemacht, zwei Studien-Abschlüsse und berufliche Erfolge. Denn seinen Job kann er, daher ist es sein Job. Ihm das abzusprechen, ist einfach Diskriminierung und sachlich falsch. Bei manchen Menschen denke ich aber auch, es ist reine Projektion von Vorurteilen.

Autismus
Familie und Ehe gehen eben auch als Asperger Autist – fernab der Vorurteile

Eine Baustelle als Familie und ein heftiger Jahresstart 2022

Für die Kinder ist es teilweise neu. Aber dem Großen haben wir im Sommer ein Comicbuch gekauft. Bizzidad wollte es eigentlich nicht, das mache den Kindern Angst. Als wir mit dem Großen darüber sprachen, an wen ihn das Buch erinnere, sagte er direkt „Papa“ und dann „Danke, dass Ihr mir das sagt, ich wusste, mit Papa stimmt was nicht, jetzt habe ich einen Namen dafür“. Die Kinder kennen Papa nur, wie er ist. Vollstes Verständnis für ihre Lego-Begeisterung. Aber kein Verständnis, dass Kinderfüße wachsen. Bei Papa gibts mehr Medienzeit und Knabbersachen. Auch können sie bei Papa Tränen gezielt einsetzen. Denn, anders als viele denken, sind Autisten nicht gefühllos. Er ist eher zu empathisch, was die Kinder betrifft.

2022 wird also einen geplanten Klinikaufenthalt für Bizzidad geben. Der Große hält es für nötig und hofft, dass Bizzidad wieder mehr zu kompensieren lernt. Ich hoffe es auch. Denn meine Möglichkeiten und meine Energie sind erschöpft. Ich kann nicht alles abfedern. Wir alle brauchen da Unterstützung. Über mich und Bizzidad werde ich hier schreiben. Bei unseren Kindern nur begrenzt, da es ihre Privatsphäre betrifft. Mit Bizzidad ist abgesprochen, was hier gepostet wird.

Asperger Syndrom - Asperger Autist - Autismus Spektrum
Optimistisch ins neue Jahr

6 Gedanken zu „Asperger Syndrom – verändert die Diagnose Autismus überhaupt etwas? Mein Mann ist Autist“

  1. Danke, dass du uns so unkompliziert an eurem Alltag teilhaben lässt. Ich finde es sehr wichtig, dass du mit den allgemeinen Klischees zu diesem Thema aufräumstt. Bei solchen Schilderungen stellt sich mir immer die Frage, inwieweit wir nicht alle ein bisschen Asperger sind. Teilzeit-Asperger, sozusagen.
    LG
    Sabiene

    1. Daher ist es auch ein Spektrum, allerdings erfüllt er ziemlich alles, was offiziell Definition ist. Denn, dass Autisten keine Gefühle haben oder weniger intelligent sind etc sind Vorurteile, die eben nicht zutreffen. Es passt nicht alles in einen Artikel, aber es wird sicher hier auch öfter mal Thema sein. Es begleitet eben alles. Ich denke aber auch manchmal, dass es, wie es halt „Spektrum“ sagt, viel mehr Menschen teilweise betrifft oder jemand autistische Züge hat, ohne, dass es zu einer Diagnose kommt. Ein paar Eigenarten haben wir alle und besonders „keine Freunde“ höre ich von vielen cishet Frauen über ihre Männer. Fehlenden Orientierungssinn haben auch andere und ich kenne auch einen Menschen, der alles, was man sagt wörtlich genommen hat. Manche Menschen reagieren sensibelst auf Reize. Bizzidad kann wenig Filtern, ich bin immer wieder überrascht, was er sozusagen gleichwertig hört. Geräusche, die ich ausblende, hört er genauso wie alles andere. Es denken auch viele, dass Menschen mit Asperger nicht fröhlich oder witzig sind.

  2. sucht euch online andere autisten, wir sind da draußen, auch dein mann brauht eine community, in der er sein kann, was er ist

    1. und für die kinder wäre eventuell der „schattenspringer“ comic von fuchskind eine idee, hat keins seiner kinder geerbt?

        1. auch dein mann braucht seinen tribe, seine gruppe in der er so sein kann, wie er ist, wo er sich nicht anpassen und verstellen muss, das müssen wir alle, sobald wir die wohnung verlassen, wir sind auf facebook in sehr vielen gruppen, es gibt phantastische blogs und noch ein randgedanke, schon mal an auch adhs gedacht? das kommt gar nicht so selten gemeinsam vor
          “ Ich weiß nicht mal einen Begriff dafür. Er teilt verbal übelst aus und ist für keinerlei Sachargumente mehr offen.“ es gibt worte dafür, overload, meltdown und shutdown
          ich würde mir von herzen wünschen, das dein mann in meine, oder eine der anderen guten gruppen auf fb kommt, kompensieren hat immer einen hohen preis, man muss sich seine „löffel“ ( gut und überlegt einteilen) https://autistenbloggen.wordpress.com/2015/12/23/aber-du-siehst-gar-nicht-krank-aus-die-loeffeltheorie/

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