Facebook erinnerte mich heute freundlich an die ersten Distanzlerntage. Die Schulen wurden Hals über Kopf geschlossen. Freitagnachmittag gab es die Infos. Dabei waren die Inzidenzen damals weit unter den jetzigen Zahlen (wir haben hier heute eine Inzidenz von 114!) und es gab noch keine Mutationen. Nun ist exakt ein Jahr vergangen. Irgendwie könnte man meinen, dass in dem Jahr viel passiert sei. Aber viel passiert ist nur am Gymnasium des Großen, auf Engagement der phantastischen Schulleitung und des kompetenten, tollen Kollegiums. In der Grundschule ist die Digitalisierung bisher kaum angekommen. Politisch sehe ich komplettes Versagen.
Ein Jahr Zeit
Ich fand sowohl die kommende Pandemie (auch, wenn das Ausmaß auch meine Erwartung übertrifft) als auch, dass das nicht schnell zum Sommer vorbei ist, absehbar. Wir hätten unsere Kinder übrigens sowieso „krank“ gemeldet, wenn die Schließung da nicht gekommen wäre.
Das Gymnasium des Großen hat damals von Freitag zu Montag auf digitalen Unterricht umgestellt mit den vorher schon gewohnten Plattformen iServ und Moodle. Für die Kinder war es nicht ganz neu. Es gab Anleitungen per YouTube, am 2. Tag ein Video mit Hilfe zur Problemlösung. Aufgaben wurden online gestellt und es wurde immer weiter ausgebaut.
Politisches Versagen
Politisch wurde viel geredet. Aber ich vermisse digitale Ausstattung für Schulen und Familien, die Nutzung der Plattformen und vor allem sicheren Betrieb. Nein, Maskenpflicht und zwischendurch Lüften sind KEINE „sichere Bildung“. Es wurden weder Luftreiniger angeschafft noch generell Strukturen und Konzepte (möglichst schulscharf) überlegt. Man hält an dem heiligen Präsenzunterricht fest, um jeden Preis.
In NRW haben einige Städte katastrophale Inzidenzen. Die Schulen möchten so nicht öffnen (siehe Düren). NRW besteht auf Präsenzpflicht und Schulöffnungen. LehrerInnen der weiterführenden Schulen sind ungeimpft (jetzt mit Aussetzung der Impfungen mit AZ sowieso) und für Kinder gibt es keine Impfung. Alle sind gezwungen, sich dem Infektionsrisiko auszusetzen.
Tolle Konzepte, funktionierender Distanzunterricht? EGAL!
Ich bin irgendwas zwischen verzweifelt, wütend und resigniert. Der Mittlere hat 2-3 Schultage pro Woche zu 14 Kindern, 3 Stunden. Dafür haben wir das Risiko. Digitalen Unterricht gibt es auch nach einem Jahr nicht. Immerhin macht(e) die Lehrerin freiwillige Videokonferenzen während der Schließzeit. Den Lehrkräften mache ich da übrigens keine Vorwürfe, sondern der Politik.
Das Gymnasium des Großen hat(te) richtig gute digitale Schule. Einen Stundenplan mit Videokonferenzen, digitale Lernangebote, Aufgaben auf iServ und auch Gruppenarbeit. Sie sind laut Mail des Klassenlehrers komplett im Lehrplan (natürlich ist nicht alles perfekt, Orchester und das sich sehen etc. entfällt). Jetzt ist die Schule gezwungen, dieses super durchdachte Konzept zu ruinieren, weil die Klassen geteilt in Präsenz gehen müssen. Die Lehrkräfte müssen also Präsenzstunden zweimal geben, es geht Zeit drauf. Das Kind hat also ein hohes Infektionsrisiko für „schlechteren“ Unterricht, nur, weil man politisch drauf besteht, dass Präsenzunterricht stattfinden muss. 8 Stunden die Woche an 2 Tagen. Wofür?
Mediale Darstellung und Wahrnehmung
Seit einem Jahr bekommen hauptsächlich diejenigen medial Gehör, die Schulöffnungen in Präsenzbetrieb fordern. Stimmen, wie Karl Lauterbach oder Bildung Aber Sicher, die für SICHERE KONZEPTE plädieren, verhallen. Auch Umfragen zu Lockerungen werden teilweise seltsam dargestellt, weil Leute, die bei niedrigen Inzidenzen etc. für Lockerungen sind, einfach allgemein den „für Lockerungen“ zugeschlagen werden. Natürlich wäre ich auch für Lockerungen, wenn die Fallzahlen es zuliessen und sie stabil niedrig wären. Sind sie aber nicht. Im Gegenteil.
Der leider aktuelle Ministerpräsident des Lands NRW und seine Immobilienmaklerin alias Schulministerin stellen es teilweise so dar, als seien Kinder per se Zuhause gefährdet. Natürlich brauchen Familien Hilfe und es gibt Kinder in prekären Lagen. Aber kann Gefahr für Gesundheit und Leben die Lösung sein? Dazu gezwungen werden? Man hatte EIN JAHR Zeit, Schulkinder mit digitalen Endgeräten und Internet auszustatten. Man könnte Familien finanziell unterstützen. SozialarbeiterInnen dort hin schicken, wo sie gebraucht werden. FamilienhelferInnen. Man hätte tragfähige Konzepte überlegen können, wie man sichere Präsenzangebote macht für die, die es brauchen. Schule neu denken!
Leistung?!
Die Grundschule informierte diese Woche, dass Eltern sich über zu wenige Aufgaben im Distanzunterricht beschwert hätten und stellt nun mehr Aufgaben. Ich bin wütend. Die Kinder erleben grade so viel, so vieles belastet. Jetzt wollen Eltern MEHR SCHULAUFGABEN? Vom Gymnasium kam auch die Mail neulich, dass Eltern nachgefragt hätten und es wurde bestätigt, dass die 6. Klasse im Lehrplan sei und genau da, wo sie nun sein sollten. Auch beim (digitalen) Elternabend war die erste Frage, wann sie denn den verpassten Stoff nachholen würden (wozu beide anwesenden LehrerInnen sagten, sie seien genau im Plan).
Die Kinder „leisten“ grade so viel. Sie leben in einer Pandemie, sie leben mit Sorgen, sich oder andere zu infizieren, sehen ihre Freunde weniger, können Hobbys weniger oder gar nicht nach gehen. Kinder mit Familie im Ausland sehen ihre Angehörigen nicht. Meine Kinder haben nebenbei so unheimlich viel gelernt: Medienkompetenz, Umgang mit digitalen Lernplattformen, Mails schreiben, Lern-Apps, noch viel mehr selbständiges Arbeiten, Recherche und Selbtorganisation. Wenn ich sehe, wie sie mit PC und iPad umgehen, sehe ich, wieviel sie gelernt haben. Auch der Kleine (5) macht alleine seine Videokonferenzen mit der Junior Uni und dem KiGa, er „meldet“ sich mit Melde-Button, stellt sich stumm und laut, folgt den Veranstaltungen.
#BildungAberSicher
Karl Lauterbach brachte diese Woche den #SchulStopp in die Medien. Denn auch die Tests sind bisher nicht da (abgesehen von der Unsicherheit der Schnelltests). Wenn ich die Schulmails des Lands NRW lese, platze ich vor Wut. Ich möchte auch, dass meine Kinder ihren Alltag zurück bekommen. Aber aktuell laufen wir in die dritte Welle und dürfen uns nicht schützen, weil irgendwer am völlig antiquierten Modell fest hält, dass ALLE Kinder in den Präsenzunterricht müssen, weil sie sonst Bildungsdefizite hätten.
Es braucht natürlich Präsenzangebote. Nicht alle Familien können Homeschool machen. Aber mir fehlt die Flexibilität und die kreativen Lösungen, die einige Schulen durchaus hätten, wenn sie denn dürften. Also sichere Angebote vor Ort und gleichzeitig digitale Angebote.
Kinder sind nicht immun
Kinder sind nicht immun. Die Mutationen sind ansteckender. Offenbar bedeutet laut Schulmail ein positiver Schnelltest nicht mal Quarantäne für alle, sondern Präsenzpflicht auch für die Sitznachbarn. Leute stehen vor Läden Schlange. Die Innenstädte sind voll. Die dritte Welle wird so unfassbar viele Menschenleben kosten und wir rennen voll rein. Ich möchte das nicht. Wir wollen für uns entscheiden können, wo welches Risiko besteht und ob wir es eingehen. Unsere Kinder haben Mitspracherecht.
Die Intensivstationen werden voll laufen. Impfungen liegen in ferner Zukunft. Für Kinder sind gar keine absehbar. Auch Kinder können Long Covid und Folgeschäden erleiden, wenn auch ihr Risiko zum Glück niedriger ist. Aber meine Kinder wollen weder sich infizieren, noch mich anstecken. Denn, auch, wenn wir ihnen sagen, sie machen mit ihren Masken und ihrem Verhalten alles richtig und sie träfe dann keine Schuld, sie wollen nicht mit dem Gedanken leben müssen, dass sie es eingeschleppt haben oder eben Folgeschäden haben.
Ich bin fassungslos, wie Drosten, RKI, Ciesek, Brinkmann, Lauterbach und co ignoriert werden. Wie ignoriert wird, was in anderen Ländern wie UK passiert ist. Das Impftempo in Deutschland und die Bürokratie kommen mir wie eine Dystopie vor.