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Typ 1 Diabetes „das ist doch heutzutage sehr gut behandelbar“ – Realitätscheck

Es gibt Vermutungen, dass Menschen nach einer (auch milden*) Coronainfektion Typ 1 Diabetes entwickeln. Das betrifft auch Kinder. Studien scheinen sich da aber ein wenig zu widersprechen. Mich wundert es wenig, mein Diabetes manifestierte sich 1999 nach einer sehr fiesen Halsentzündung. Ich möchte nicht, dass meine Kinder auch Diabetes bekommen, denn so „gut behandelbar“ ist Diabetes nämlich nicht. Vor allem ist er nicht heilbar.

*“Mild“ bedeutet übrigens nach RKI, dass der Sauerstoffgehalt nicht unter 95 sinkt.

Diabetes wird verharmlost – „sehr gut behandelbar“

Richtig ungut finde ich aber das Framing einiger Fachleute, die davon sprechen, dass Diabetes „heutzutage doch sehr gut behandelbar“ sei. Wenn man die Behandlung und die Lebensqualität mit Diabetes mit vor 20 oder gar 40 Jahren vergleicht, stimmt das. Aber es ist eben absolut relativ. Diabetes ist nicht harmlos und „gut behandelbar“ ist eben Ansichtssache. Es ist kein Todesurteil und es ist relativ normales Leben möglich. Genau diese Einschränkung ist aber eben da.

„Behandelbar“ suggeriert Symptomfreiheit oder gar Heilung, dass das Leben keine Einschränkungen hat. Die üblichen Vorurteile. Das ist eben absolut nicht der Fall. Natürlich sind die technischen Möglichkeiten immer besser und es gibt neuere Insuline. Leben vor 40 Jahren war massivst eingeschränkt mit Diäten und konventioneller Insulintherapie. Ich gehöre schon zu denen, die von der Forschung und technischen Möglichkeiten profitieren. Als ich Diabetes bekam, waren Insulinpens schon üblich, mein schnellwirksames Lispro Insulin Humalog musste ich nie mit einer Spritze aufziehen. Es gab Messgeräte für den Hausgebrauch und Insulinpumpen.

Diabetes behandelbar - Leben mit Typ 1 Diabetes
Leben mit Diabetes – heftige Unterzuckerung

Leben mit Diabetes heute

In Deutschland leben wir sehr privilegiert. Ich habe Zuzahlungen, aber bekomme alles, was mein Leben normaler macht. Die Krankenkasse bezahlt mein Insulin, die Insulinpumpe plus Zubehör und Sensoren. Mein Dexcom Sensor funkt alle paar Minuten meinen Blutzuckerwert an meine Insulinpumpe und mein Handy (und die Apple Watch zeigt ihn immer an, meine Apple Watch habe ich aus genau diesem Grund). Ich habe zwei „Nadeln“ (Teflon bzw. Sensor) im Bauch. Immer. 24/7. Manchmal trifft man beim Setzen der Nadeln ungünstige Stellen und es blutet oder tut weh. Insulinpumpen gibt es auch für Kinder. Aber die Bedienung muss man lernen.

Diabetes ist behandelbar - aber nicht heilbar
Ich habe immer Sensor und Katheter im Bauch

Der Alltag mit Diabetes ist einfacher geworden, aber nicht einfach behandelbar

Der Sensor und die Pumpe machen meinen Alltag viel einfacher und unkomplizierter. Die Pumpe programmiert man individuell, aber sie gibt nur die Basalrate automatisch ab. Diabetes bedeutet für mich, dass ich mich damit immer beschäftigen muss oder zumindest den Blick darauf haben muss. Der Körper ist keine Maschine. Ob ich zu- oder abnehme, es hat Auswirkungen. Genauso, ob ich mal ein paar Tage weniger oder mehr gegessen habe (Rezeptor up oder down). Ein Infekt spielt rein. Auch spielt es eine Rolle, ob ich viel oder wenig oder gut oder schlecht schlafe. Eine große Bedeutung haben auch die Hormone, die sich im Zyklus verändern. Bewegung und Anstrengung oder Stress sind die nächsten Faktoren. Diabetes und Insulinbedarf sind eine Sache mit zig Variablen. Manchmal läuft es super. In anderen Phasen eben nicht. Dann nervt der Diabetes ganz massiv. Bei einem Kind muss im Normalfall dann ein Elternteil immer präsent sein oder eine andere geschulte Person.

Ich sitze auch jetzt hier grade mit einer Hypoglykämie (Unterzuckerung)

Die Technik unterstützt, ist aber nicht automatisch

Viele Menschen denken, meine Insulinpumpe und mein Sensor machen alles alleine. Genau DAS ist eben nicht der Fall. Die Pumpe programmiert man individuell mit seiner Basalrate (Insulin, das man zum Leben braucht) und die Insulinfaktoren je nach Tageszeit für den Bolus (das Insulin, das man zu Mahlzeiten und Korrektur braucht). Ich muss immer noch die Kohlenhydrate meines Essens selbst schätzen. Auch muss ich gucken, ob Korrektur nötig ist. Wobei „musste“. Meine Insulinpumpe hat nun ein Update bekommen. Bisher war es so, dass sie bei drohender Hypoglykämie (Unterzuckerung) warnte und sich abschaltete. Mit dem neuen Update kann sie das Basalinsulin (also die Grundversorgung) selbständig erhöhen (bei zu hohem Blutzucker, also Hyperglykämie) oder senken (bei drohender Hypoglykämie). Außerdem kann sie bei sehr hohen Werten selbst einen Korrektur-Bolus abgeben.

So sieht das dann mal aus – der Blutzucker sollte im grauen Bereich sein – rot ist Hypoglykämie – gelb ist Hyperglykämie

Meine Insulinpumpe hat nun Control-IQ

Das ist eigentlich eine total wunderbare Sache. Ich hatte eine intensive Onlineschulung und habe meine Pumpe upgedated und dann entsprechend programmiert. Aber es klappt alles noch nicht wie es soll. Denn Theorie und Praxis weichen voneinander ab. Ich habe dauernd Unterzuckerungen. Am heutigen Tag jetzt grade die 9.. Ich bin bei der dritten Tüte Gummibärchen. Hypos strengen an. 2-3 leichte Unterzuckerungen am Tag sind noch okay. Danach bin ich einfach erschöpft.

Aktuell bastel ich nun seit Tagen an den Einstellungen. Eigentlich soll man die Tagesgesamtmenge im Schnitt von 14 Tagen angeben. Das sind bei mir 42IE (Insulineinheiten). Ich senke und senke und bin jetzt bei 20. (Mit meinem Diabetologen werde ich natürlich sprechen). Aber trotzdem korrigiert sie mich fröhlich in den nächsten Unterzucker. Freitag habe ich einen Versuch gemacht. Ich habe Lasagne gegessen. 6BE (= 60g Kohlenhydrate) und habe keinerlei Bolus abgegeben. Mein Blutzucker stieg kurz an und dann war ich wieder in einer Hypo. Die Pumpe gibt mir zuviel Insulin. Meine Korrekturfaktoren habe ich auch schon geändert. Bisher noch erfolglos. Meine Nächte sind grade ziemlicher Mist. Mich weckt ständig (also stündlich plus Wiederholungen) der Alarm. Geweckt werden ist natürlich gut. Der Verlauf des Blutzuckers ist aber nicht gut.

Rot hinterlegt heisst, die Insulinpumpe hatte sich automatisch abgeschaltet – nein, so sollte es NICHT aussehen

Ich wünsche niemandem Diabetes

Es gibt definitiv schlimmere Krankheiten und mein Leben mit Diabetes ist nur etwas eingeschränkt. Meistens lebe ich recht gut und normal damit. Aber Diabetes ist so viel mehr. Meine Schwangerschaften waren Hochrisikoschwangerschaften. Über Schwangerschaft mit Diabetes habe ich mal ausführlich geschrieben. Ich bin auch bei Corona Risikopatientin. Manche Medikamente wie Cortison sind mit Diabetes sehr schwierig. Ein Magen-Darm-Infekt kann für mich lebensgefährlich sein. Ich bin absolut insulinabhängig. Ohne Insulin sterbe ich. Ich lebe hier recht sicher. Aber in der Ukraine war neulich ein Lager eines Insulinherstellers blockiert. In den USA ist Insulin so teuer, dass manche Menschen es nicht ausreichend spritzen können. Das kann Leben kosten. In den USA sterben Menschen direkt an Insulinmangel.

Diabetes nicht verharmlosen

Diabetes zu verharmlosen regt mich auf. Denn manche Ärzt*Innen sehen nur die theoretischen Möglichkeiten. Nicht, dass Diabetiker*Innen die ganze Zeit mitdenken müssen, gute Ärzt*Innen brauchen und es eben doch ganz massiv eine Belastung bedeutet. Ich wünsche es niemandem, vor allem nicht meinen Kindern. Schon gar nicht im Wachstum oder in der Kindheit. Sie müssten auf so vieles verzichten und so schnell und viel Verantwortung übernehmen. Es ist einfach eine Grundbelastung, die absolut immer da ist. Die Zeit und gedankliche Kapazität kostet. Weil es darum geht, dass man noch lange lebt. Denn die Folgekrankheiten sind eben auch einfach existent.

Diabetes ist anders behandelbar als vor Jahrzehnten, aber es ist immer noch eine Krankheit, die nicht heilbar ist und die schlimme Folgen haben kann plus eben erhöhte Risiken bei vielen anderen Dingen. Kindern nimmt es ganz viel Leichtigkeit und Freiheit. Ich lebe mit den Einschränkungen ganz gut. Ich habe einen kompetenten guten Arzt und sein Team. Mein Leben ist gut, weil wir in Deutschland privilegiert sind. Aber Diabetes ist trotzdem kein Spaß. Es gibt natürlich viel schlimmere und gefährlichere Erkrankungen. Aber es ist komplett anders als „gesund“ zu sein.

4 Gedanken zu „Typ 1 Diabetes „das ist doch heutzutage sehr gut behandelbar“ – Realitätscheck“

  1. Diabetes ist wirklich nicht lustig und „gut behandelbar“ ist relativ. Nach dem Krieg war man mit einer solchen Erkrankung wirklich ganz arm dran, wie mein Opa. Heute sind die Methoden besser, krank ist man damit trotzdem.

    Alles Gute!
    Sabiene

  2. Hallo Inga Denise,

    ich habe dich als familiär Betroffene lange Zeit gerne gelesen (meine Schwester hat Typ 1 seit sie 10 ist, meine Tochter hat es vor 2 Jahren bekommen). Ich habe nun festgestellt, dass ich eine generell komplett andere Weise des Umgangs mit der Erkrankung pflege. Doch, Typ 1 ist gut behandelbar, durch Pumpe, Sensoren, schnelle Insuline kein Vergleich mit den angesprochenen 90ern. Deine Beispiele, dass Kinder dann vielleicht nicht mit auf Klassenfahrt kommen – ja, kann passieren, war bei meiner Schwester auch so. Das ist nicht schön, aber doch nicht, das, was das Leben ausmacht! Meine Schwester hat alles erreicht, was sie wollte, Beruf, Familie, trotz Typ 1. Du schreibst, dass du das nicht für deine Kinder möchtest, das möchte ja auch keiner. Leider fragt einen niemand, ob man das möchte, ebenso wenig wurdest du dazu gefragt. Du weisst, dass dich dieser Wunsch in keiner Form davor schützt, dass irgendwann eines deiner Kinder die Diagnose erhält – dass sie alle ein erhöhtes genetisches Risiko haben? Mir beispielsweise sagte ein Humangenetiker, dass bei mir, im Gegensatz zu meiner Schwester, kein erhöhtes Risiko besteht. Guess what – sie hat es dennoch bekommen. Ich bin einige Monate fast verrückt geworden, aber ich musste es annehmen, für sie und für uns. Deine Worte und Posts zum Thema Typ 1 klingen für mich so, als hättest du selbst ein Problem damit, die Erkrankung anzunehmen. Ich wünsche dir, dass dir das gelingt. Ich bin mir sicher, dass du den Kommentar nicht freischaltest, das musst du auch nicht. Ich wurde durch deine Worte getriggert und werde dich zukünftig nicht mehr lesen. Alles Gute für dich.

  3. Man sollte keine Krankheit verharmlosen! Ebenso bringe ich meinem Sohn bei, dass ein Mitschüler mit anerkannter Lese-Rechtschreibschwäche mit Bonuspunkten nicht bevorzugt, sondern gleichgestellt ist. Auch das ist eine Krankheit.
    Schwierig finde ich Deine Covid-Relation. Da gibt es mittlerweile so viele Studien in alle Richtungen, ich sehe mittlerweile hauptsächlich ein Versagen der Politik in diesem Land. Ja, es gibt das Virus. Geboostert aber mild. Die genauen Auswirkungen kennt keiner. Long Covid existiert, ebenso aber leider auch erwiesene Impffolgen. Mein Freund ist Sportmediziner und da ist die Erkenntnis, dass junge gesunde Sportler mit aktivem Immunsystem nach dem Booster Probleme haben. Der Gasaustausch funktioniert nicht richtig, Atemprobleme etc. Über lange Zeit! Man kann so vieles bekommen mit möglichen Verbindungen oder eben auch nicht.
    Diabetes ist nicht harmlos und in anderen Ländern sicher derzeit ganz schrecklich!!!!!
    Aber covid über alles zu stellen als Gefahr halte ich mittlerweile für übertrieben. Wie Du weißt, ist mein Sohn nierenkrank und ich stehe in gutem Austausch mit Ärzten. Wir sind geboostert, testen, aber wir leben auch. Der Sohn trainiert 3x die Woche, geht schwimmen, eislaufen, ins Kino, wir gehen in Restaurants und urlauben in Ferienwohnungen in Deutschland. Gedanken an Folgeerkrankungen blende ich aus, denn genauso kann man anderweitig von heute auf morgen aus dem Leben gerissen werden und das hat mein Sohn zB in diesem Schuljahr ohne jegliche covid-Verbindung mehrfach erleben müssen.
    Privat das ein oder andere on top.
    Ich möchte übrigens keinen Streit oder Hass mehr.

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