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Erziehungsfragen: Selbständigkeit vs. Gluckigkeit

Unser Großer wird immer selbständiger, er darf kurze Wege alleine gehen und auch mal kurz alleine Zuhause bleiben. Das ist für uns Eltern schwieriger als für ihn, denn wir sind unsicher, was altersangemessen ist.

Unser Großer ist nun 8 Jahre alt und in der 3. Klasse, er wurde sehr jung mit 5 eingeschult (in NRW hat man da keine Wahl) und ist somit ein noch frischer 8-Jähriger, seine Freunde in der Schule sind alle deutlich älter. Mit der Schule kommen viele Veränderungen, im KiGa stellte sich die Frage nach Bringen und Abholen nicht, es war selbstverständlich, abgesehen davon ist vertraglich geregelt, dass nur Erwachsene das Kind abholen dürfen und nicht etwas ältere Geschwister. Schule war somit Neuland für uns und fühlt sich auch nach über 2 Jahren immer noch so an. Wieviel Freiheit und Selbständigkeit gibt man dem Kind und wieviel Verantwortung ist da in Ordnung?

Die ersten Schulwochen war völlig klar, man bringt ihn zum Aufstellplatz bzw. dann kam ein Brief, dass die Kinder nur noch ans Schultor gebracht werden, außerdem holte man am Schultor ab. Dann kam aber die Unsicherheit. Einerseits möchte man sein Kind zu Selbständigkeit erziehen und ihm Selbstbewusstsein geben und es soll in der Welt klar kommen und Verantwortung für sich übernehmen können. Andererseits hat man als Eltern (wir jedenfalls) doch eine gewisse Gluckigkeit und möchte behüten und beschützen. Manchmal frage ich mich da nämlich, für wen die Lernkurve steiler ist, Eltern oder Kind? Die Aufsichtspflicht umschließt, dass das Kind weder sich noch andere gefährdet und ich weiß, wo er ist und was seine „Tätigkeit“ ist. Einen schönen Artikel dazu findet man beispielsweise bei Urbia

§ 1626 BGB, Absatz 2 findet sich nämlich auch der Satz: „Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit des Kindes zu selbständigem und verantwortungsbewusstem Handeln.“

img_6643Mit unterschiedlichem Alter ist also die empfohlene Selbständigkeit verschieden, sie sollte also langsam mehr werden. Als der Große in die Schule kam, kam der Mittlere (da noch „Kleine“) in den Kindergarten. Somit gab es zwei Kinder abzuholen. Anfangs musste der Große mit mir mit zum Kindergarten durch fahren, er freute sich zwar, seine Freunde zu sehen, war aber gleichzeitig müde und wollte gern Essen, auf Toilette und die Hausaufgaben hinter sich bringen. So fing es an, Anfangs in Absprache mit den Nachbarn, dass er eben die kurze Zeit alleine Zuhause bleiben durfte. Ich kenne meinen Großen, er ist zuverlässig, verantwortungsbewusst und vernünftig. Die Ansage „Du öffnest nicht die Tür! Einfach ignorieren, wenn es klingelt!“ versteht er und hält er ein. Dazu habe ich ihm gezeigt, wie er mich vom Telefon aus anruft und geklärt, dass er, wenn ein Rauchmelder piepst, Jacke und Schuhe nimmt und sofort raus geht. Da es gut funktionierte, darf er seitdem kurze Zeitspannen alleine Zuhause bleiben. Wir haben zu unserem Luxus eine Oma, die bei längerer oder geplanter Abwesenheit einspringt und das auch recht kurzfristig. Daher ist immer jemand da nach Schulschluss Mittags. Es kann natürlich immer sein, dass er 5 Minuten vor mir oder der Oma eintrifft. Die Oma ist ohnehin ein Luxus, da ich so auch mal 1:1 Zeit mit einem der Kinder haben kann, so diese Woche die Schulbesichtigung für den Mittleren, ohne Babybruder, sondern komplett auf ihn konzentriert.

Zunächst stand ich immer am Schultor, wie die meisten Eltern der Erstklässler. Mit der Zeit wurden es aber immer weniger Eltern. Der Große ist aber eher vorsichtig und wollte gern lang dort abgeholt werden. Wir halten uns da, soweit möglich an seine Wünsche. Gleichzeitig war aber der Gedanke da, muss er vielleicht einen Stups für diese Selbständigkeit bekommen? Er ging nicht alleine, sondern meistens mit Mitschülern einen Teil des Weges. So wurden die Wege immer länger, von an der Ecke warten zu unten an der Strasse warten, an der Brücke warten bis hin zur an der Haltestelle warten. Es gab auch Angstmomente, wenn er einfach nicht kam, einmal bin ich bis zur Schule wieder hoch gelaufen. Er hatte einen Dienst in der Klasse und kam später raus. Trotzdem gabs erst Kopfkino: war das zuviel? Hat ihn ein Auto angefahren? Ich bin rational genug, davon auszugehen, dass eine Entführung extrem unwahrscheinlich wäre. Aber ein Verkehrsunfall kann schnell passieren (Stichwort: Elterntaxi) und auf dem Schulweg gibt es eine Firma mit unmöglich auf Bürgersteig und Strasse parkenden LKWs. Inzwischen, seit Ende 2. Klasse kommt er alleine nach Hause. Aber ich gebe zu, ab einer gewissen Uhrzeit werde ich schon ziemlich unruhig.

img_8378Manche Dinge macht er ohnehin schon lange allein, er zieht sich an, er duscht, er macht sich auch mal ein Müsli. Ich bilde mir ein, nicht über zu behüten. Er ist aber eher von der vorsichtigen Sorte. Im Urlaub in England bestand er auf einen Autositz, obwohl er nach dortigen Gesetzen keinen mehr benötigt. Also hat er natürlich einen bekommen.

Als der Hausherr auf einer Dienstreise war und ich es schwierig fand, Morgens 3 Kinder um 7:20 so weit fertig zu haben, dass wir komplett das Haus verlassen, fingen wir auch damit an, dass er alleine zur Schule geht. Bisher hatte ihn der Papa immer den halben Weg begleitet. Nun fährt er alleine mit der Bahn die eine Station und trifft dort seinen Freund (und Anfangs auch dessen Mama, die mir dann eine Nachricht schickte, dass er gut angekommen sei) und sie gehen gemeinsam zur Schule. Letzte Woche war sein Freund krank und er ist den ganzen Schulweg alleine gegangen. Oft trifft er ohnehin jemanden.

Langsam nähern wir uns weiteren Schritten und ich gebe zu, ich habe Bauchweh. Zum Harfenunterricht (500m entfernt) geht er nun alleine, nachdem wir den Weg mehrfach zusammen gegangen sind, genauso zu Gitarre (auf Mitte des Schulwegs) und nun ist er auch erstmals alleine zu seinem Freund gegangen (800m) entfernt, dessen Mama mir ebenfalls Bescheid gab, als er ankam, oder neulich nach Gitarre zu einem anderen Freund (der ihn mit seiner Mutter an der Haltestelle abgeholt hat und mir Bescheid gab). Inzwischen hat er endlich einen Schlüssel und langfristig soll er für solche Unternehmungen auch ein Handy bekommen, wenn er sich in größerem Radius bewegen soll, falls eben die Bahn ausfällt oder etwas ist. Aber es wäre schon organisatorisch einfacher und für seine Selbständigkeit gut, wenn er auch zum Fußballtraining im Nachbarstadtteil oder zur Junioruni alleine fahren würde.

IMG_0175Ich möchte mein Kind nicht mit meiner Angst und meinen Sorgen ausbremsen. Gleichzeitig bin ich verunsichert, wieviel ich meinem Kind zutrauen kann und darf und inwieweit die Selbständigkeit und Freiheit eben auch wichtig für die Entwicklung ist, denn die Erziehung zur Selbständigkeit ist meine Pflicht. Neulich habe ich in einem Blog etwas über eine Smartwatch gelesen, womit die Eltern das Kind tracken und immer schauen, wo es ist oder das Kind anrufen. Das widerstrebt mir, das hat sowas von „big brother is watching you“. Ich möchte keine Kontrolle, sondern wir vertrauen uns gegenseitig. Wenn er sagt, er ist beim Gitarrenunterricht, habe ich keinen Grund, es nicht zu glauben, ich vertraue ihm, abgesehen davon würde seine Lehrerin anrufen. Teil meiner Aufsichtspflicht ist, zu wissen, wo sich mein Kind befindet. Aber es ist natürlich legitim, wenn andere Eltern Tracking und GPS ganz anders empfinden. Andere sind eben sehr kritisch Handys gegenüber. Von den Klassenkameraden des Großen haben übrigens mind. die Hälfte ein Smartphone und ein Mädchen „ein Tastenhandy“.

Nun ist nämlich die Überlegung, ob er ein (altes) Smartphone bekommt (Update: er hat ein altes iPhone bekommen). In die Schule soll es nicht mit, da braucht er es wirklich nicht, wenn etwas ist, ruft die Schule an. Nach Schulschluss möchte ich, dass er ohnehin erst nach Hause kommt. Neulich war ich mit den beiden Kleinen in der Stadt und er bei einem Freund. Dann fuhr keine Bahn mehr. Ich war also etwa 2 Stunden später Zuhause als geplant. Zum Glück war die Mutter seines Freunds erreichbar und er konnte länger dort bleiben und wurde zeitgleich mit mir heimgebracht, aber wenn so etwas beim Fußballtraining wäre, käme er nach Hause und es wäre einfach keiner da. Diese Situation möchte ich nicht. Genauso, wenn er auf einem Weg wäre und die Schwebebahn  Betriebsstörung hat, dass er sich nicht an Fremde wenden muss, sondern mit uns besprechen kann, ob er wartet und abgeholt wird oder läuft oder was auch immer. (Inzwischen bin ich übrigens schlauer, ich lege immer einen Zettel hin, wo ich bin, falls er vor mir Zuhause ankommen sollte). Denn so, wie ich wissen muss, wo er ist, sollte er wissen, wo ich bin und wie er mich, Oma oder den Papa jederzeit erreicht. Wir nähern uns also schrittweise der Selbständigkeit, angepasst an seine Wünsche und seine Sicherheit. Allerdings ist eben unser Großer ohnehin sehr ehrlich und verantwortungsbewusst. Dennoch bleibt es eine Gratwanderung, nicht ohne Grund ist „Helikoptereltern“ ein bekannter Begriff, weil man leicht in eins der Extreme gehen kann. Ein bißchen Unsicherheit bleibt immer.

Wie ist es bei Euch? Wie alt sind Eure Kinder und wieviel Selbständigkeit und Freiheit haben sie? Lebt Ihr auf dem Dorf und die Kinder laufen ohnehin den ganzen Tag alleine rum und kommen bei Dunkelheit nach Hause? Oder seid Ihr vorsichtig und trackt die Wege Eurer Kinder oder bringt sie überall hin? 

6 Gedanken zu „Erziehungsfragen: Selbständigkeit vs. Gluckigkeit“

  1. Oh Gott, mir wurde beim Lesen eben ganz anders. Meine Tochter ist 5 und wir wohnen in einer relativ kleinen Stadt (<100.000 EW), aber sehr zentral. Planmäßig kommt sie 2019 in die Schule; bis dahin muss ich das mit der Selbstständigkeit noch üben. Also, dass ICH damit klar komme, dass sie sich aus meinem Einflussbereich hinausbewegt. Aktuell darf sie immer mal "alleine" zum Bäcker gehen, da steht dann aber immer jemand parat um Wege über die Straße managen zu können, sollte sie doch mal etwas übersehen oder übersehen werden. Überschaubare Zeiten lasse ich sie auch mal allein zu Hause und sie LIEBT es. Sie ist auch sehr verantwortungsbewusst, aber wer weiß schon, wem sie alles begegnet und was die so vor haben? Diese Ängste sind für mich auch meinem Alter geschuldet; ich befürchte, mit 37 geht man anders (nämlich ängstlicher) durchs Leben als mit 23. Das soll keine Wertung sein, aber früher, mit weniger Erfahrung und Wissen wäre mir vieles sicher leichter gefallen.

    1. Uns fällt es auch noch echt schwer, wobei ich irgendwie deutlich mehr Angst vor Unfällen habe als davor, dass ihm konkret jemand was „tut“. Allerdings finde ich auch das Thema schwer, wie vor Kriminellen warnen, ohne, dass man dem Kind Angst vor der Welt macht? Ich bin aber Dein Alter, stelle aber fest, dass ich sorgloser als mein Mann oder meine Mutter bin. Trotzdem bin ich insgesamt unsicher, was im Rahmen ist und war eher überrascht, dass die gesetzlichen und juristischen Vorgaben weit über das hinaus gehen bzw. deutlich früher ansetzen als ich gedacht hätte und es praktiziere. Mein Kind ist also doch überbehütet.

  2. wir sind in der Grossstadt. Kind ist 6 J und kann schonmal 15 min oder so zuhause bleiben, und ist schon zum Kiosk um die Ecke alleine gegangen. Neulich hatte sie auch gezeigt( eher dem Vater ich konnte mir vorstellen dass sie das konnte) das sie auch den Weg von einem Ort( wo sie schon oefter war), ueber eine grosse Kreuzung zur richtigen Bushaltestelle , den richtigen Bus nehmen und an der richtigen Haltstelle austeigen und nachhause gehen kann. ( Sie hat uns gefuehrt) Ich denke dass sie das zur Schule gehen gut haendeln wird, zumal das wohl die meisten Kinder die ich sehe das auch so machen.

    1. Unser Mittlerer ist ganz anders, er möchte jetzt schon alleine gehen. Zur Schule geht er mit Bruder und Freund, zurück wollte er alleine gehen, aber durch einen schlimmen Vorfall lassen wir das momentan erst mal wieder. Dabei kann er gar nichts dafür.

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