Es hat ein paar Tage gedauert, ich war und bin zu wütend über eine Situation und eine Reaktion. Freitag habe ich schon meine Wut auf Twitter gepostet. Aber es geht um so ein grundsätzliches Problem, das ich immer wieder beobachte. Personen, die durch ihre Privilegien nicht betroffen sind, sprechen betroffenen Menschen ab, dass diese eine Situation als für sich unsicher einschätzen. Da wird relativiert und die Sorgen werden abgetan und im schlimmsten Fall wird gespottet.
CN: sexuelle Belästigung
Die Situation am Freitag
Wir waren Freitag noch mal am Meer. Es war als Strandtag geplant und daher war ich im kurzen Strandkleid unterwegs. Auf dem Heimweg wollten wir zu einem Fast Food Restaurant auf Wunsch der Kinder. Also recherchiert. Was wir nicht wussten, es war in einem zu der Uhrzeit geschlossenen Shopping-Center in einer Plattenbausiedlung, kein Drive Through. Es war ziemlich menschenleer, Parkhaus schon geschlossen und ich sah nur vereinzelt abhängende Männergruppen und zwei Frauen ein Stück entfernt.
Bizzdad parkte also am Strassenrand. Außerhalb der Blickweite des Burger Ladens. Ich sagte, ich möchte da nicht allein hingehen, die Situation sei nicht sicher. Er wurde pampig, ich wolle ja Fast Food (nein, die Kinder) und solle mich nicht anstellen, das sei nicht gefährlich und ich solle gehen.
Erfahrung und Leben als Frau
Ich lebe mein ganzes Leben in einem weiblichen Körper. Schon als Teenie habe ich also gelernt, welche Situationen für mich sicher sind und welche nicht. Wie vermutlich für die meisten nicht weiß-cis-hetero-männlichen Menschen ist das leider nötig. Ich achte auf Details, wie ist die Gegend? Sind da Menschen? Ist es einsam? Wenn eine Situation unschön ist, wo bekomme ich Hilfe? Bemerkt mich jemand? Sind da dunkle Ecken? Habe ich alles im Blick? Das ist immer Teil meiner Planung, oft schon automatisch statt bewusst.
Ich achte auch darauf, was ich für Kleidung trage. Das mag manche irritieren, da ich meistens Kleider und Absätze trage. Es sollte auch definitiv nicht so sein, es ist niemals, absolut niemals ein Opfer irgendwie schuld. Leider verstehen manche falsch sozialisierte cis-hetero Männer aber Kleidung oder Verhalten als Aufforderung.
Die Welt als weißer cis hetero Mann ist eine andere Situation
Unsere Gesellschaft ist immer noch männerfreundlicher und auf Männer ausgerichtet. Erfährt eine Person sexuelle Belästigung oder gar Gewalt, wird meistens gefragt, was sie denn an gehabt hätte oder wann und wo das war. Die Kommentarspalten auf Social Media schockieren mich da teilweise. Es werden Zeugen für Übergriffe gesucht und in den Kommentaren wird gefragt, warum diese Person denn zu der Uhrzeit und an diesem Ort unterwegs gewesen sei.
Auch mein Mann lebt da mit seiner privilegierten Sicht. Er ist hetero, weiß und männlich. Dass die Sicherheit einer Situation davon auch abhängt, erlebt er nicht. Für ihn ist mit großer Wahrscheinlichkeit das einzige Risiko, dass ihm bei einem sowieso eher unwahrscheinlichem Überfall Handy und Portemonnaie geraubt werden.
Mir war es vorher klar wie diese Situation laufen würde
Ich habe mich nicht durchgesetzt, weil mir suggeriert wurde, es sei albern und dass es unzumutbar sei, dass er Fast Food aussuchen und kaufen müsse. Ja, ich habe meine eigene Einschätzung der Situation dann nicht mehr durchgesetzt.
Während ich feststellte, dass der Burger Laden trotz anderer Ankündigung im Netz geschlossen war, war da nur noch eine Männergruppe. Die beiden Frauen waren inzwischen auch gegangen. Vielleicht haben sie wie ich den Ort als nicht sicher für sich eingestuft? Als ich also wieder ging, gingen die Männer vor mir auf die enge Treppe und blieben stehen. Es war nur verbale Anmache und Belästigung und ich musste mich zwischen ihnen durch drängen. Sie waren in meinem Personal Space, aber ohne Körperkontakt. Trotzdem fühlte es sich bedrohlich und sehr unangenehm an.
Ich weiß nicht aus Entfernung, ob Männer nur verbal baggern oder ob sie Grenzen überschreiten und Abends in der Dämmerung in einsamer Gegend angebaggert werden fühlt sich nicht sicher an. Das Risiko ist da.
Ich war so wütend
Ich bin dann wahnsinnig wütend ins Auto zurück. Es war übrigens ausser Sichtweite. Bizzidad hätte nicht gesehen, wenn mich jemand angegriffen hätte. Da laut Musik lief, hätte er mich auch nicht Rufen oder Schreien hören.
Er wurde richtig pampig und war absolut verständnislos. Der Große warf ein, dass Papa ein MANN sei und die Situation für ihn ungefährlich sei, für mich nicht.
Privilegierte Perspektive verlassen
Die Welt und Situationen sind nicht für alle Menschen gleich sicher. Wer nicht weiß, hetero und männlich ist, ist oft in einer vulnerableren Lage. Ich finde es immer wichtig, sich Privilegien bewusst zu machen. Dazu gehört eben auch, dass man den Menschen, die andere Voraussetzungen haben, zuhört. Wenn Euch eine Person, die trans oder non-binär ist oder generell LGTBQ+ oder eben cis weiblich hetero wie ich, oder nicht weiß, sagt, dass eine Situation für sie nicht sicher sei, nehmt es hin. Akzeptiert es ohne Diskussion oder Relativierung, sondern übernehmt die Situation, fragt, ob Ihr die Situation sicherer machen könnt.
Das lässt sich auf alles übertragen. Wenn ein schwarzer Mensch Sorge vor Polizeikontrollen hat, erkläre ich ihm nicht, dass fast alle Polizisten nicht rassistisch sind. Ich bin weiß. Ich kann es absolut nicht beurteilen und maße mir da kein Urteil an. Sondern ich höre zu, akzeptiere es und gucke, ob es eine Möglichkeit gibt, dass ich etwas beeinflussen kann, um die Person zu unterstützen.
Empathie und Akzeptanz anderer Situationen
Inzwischen hat Bizzidad meinen Punkt verstanden. Er hat nicht zu beurteilen, wie ich eine Situation für mich einschätze. In meinem eigenen Umfeld erlebe ich aber auch, dass viele Männer sowohl selbst Einschätzungen für andere Menschen gelernt haben als auch mein Sicherheitsempfinden berücksichtigen. In Irland habe ich mich einmal mit einem Freund bis 5 verquatscht. Er meinte dann, er sei zu müde, um mich nach Hause zu bringen, aber er wolle nicht, dass ich da Nachts noch alleine rumlaufe. Ich bekam Kissen und Decke und blieb bis gegen 8 auf dem Sofa. Genauso fragen Freunde, wenn ich mit ihnen unterwegs bin, wie ich nach Hause komme. Es wird gar nicht diskutiert, wenn ich für mich einschätze, dass ich bitte begleitet werden möchte. Normalerweise überlege ich das jeweils vorher. Aber ich erlebe, dass mitgedacht wird, ich wurde auch schon am Hotelfahrstuhl „abgestellt“, damit ich gut zurück komme.
Meine Kinder sollen es lernen so eine Situation für sich und Andere zu verhindern
Wichtig finde ich, dass es nicht nur Sache der nicht männlichen, weißen, cis, hetero Menschen ist, etwas zu verändern. Sondern es betrifft alle. Wenn Ihr Privilegien habt, die Euch nutzen, unterstützt andere Menschen. Wenn Ihr ein cis hetero Mann seid, dann sprecht andere Männer an, die Menschen in bedrohlich empfundene Situationen bringen. Bietet Begleitung an oder fragt, was Ihr tun könnt. Lauft nicht Abends oder in einsamer Gegend dicht hinter einer Person her. Wechselt die Strassenseite.
Wenn man gemeinsam unterwegs ist, guckt, dass die Menschen, mit denen Ihr unterwegs seid, sicher nach Hause kommen, wenn es nicht Eure eigene Sicherheit gefährdet.
Mein Ziel ist, dass meine Söhne ihre Privilegien positiv einsetzen, möglichst, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Wird jemand in der U-Bahn bedroht, Polizei rufen. Aber wird da ein Mensch sexuell oder rassistisch angegriffen, also verbal, Unterstützung zeigen. Ich wünsche mir, dass sie lernen, sich in andere Situationen zu versetzen.
Noch mal anders formuliert
Meine Gastautorin Maike hat es auch noch mal in Worte gefasst, von ihr sind auch die Beiträge zu inklusiver Sprache und über von Armut betroffene Familien. Ihr findet Maike bei Twitter.
„Bisherige Maßnahmen, die in dem Zusammenhang ergriffen werden sollen, richten sich üblicherweise an die Opfer und ihren Selbstschutz. Dieser Weg denkt aber zu kurz: Wir müssen auch da ansetzen, wo möglicherweise Täterverhalten entstehen kann. In der Sozialisation eines als Jungen verzeichneten Kindes wird (u.a. über Kleidung und Vorbilder) bisweilen noch ein konservatives Bild vom wilden Kerle gezeichnet, der laut und ungestüm ist. „Boys will be boys!“, heißt es da, während die Attribute für andere Kinder üblicherweise die leiseren Töne, die süßen Rüschen an der Kleidung und das gutmütige, verständnisvoll-sorgende (kleine) Mütterchen beinhalten. Hier müssen wir neu denken, und Kinder Kinder sein lassen. Hier müssen wir als Eltern (gemeinsam mit Schule/Tageseinrichtung) den Raum schaffen, Kinder individuell zu ihren Stärken(?) finden zu lassen, und sie darin begleiten, ihre ganze Entwicklung zu durchschreiten, ohne ihnen „Schwächen“ anzudichten, oder Fähigkeiten als minderwertig oder gar unterdrückenswert vorzuleben. „Mädchen“ dürfen wild sein, „Jungs“ dürfen weinen.
Kein Kind muss sich für seine Gefühle schämen, keines sollte die Grenzen des anderen übertreten. Ein respektvolles Miteinander lernen Kinder am besten durch Vorbilder“
Mich macht es so wütend, dass es solche Situationen gibt und ich mich rechtfertigen muss
Eigentlich könnte es so leicht sein. Alle Menschen lassen andere Menschen in Ruhe und belästigen oder bedrängen sie nicht. Genauso, wie niemand für sein Aussehen, seine Herkunft, Hautfarbe oder Religion Hass und Hetze erleben sollte und sich dabei um seine eigene Sicherheit sorgen. Mir wird übel, wenn ich sehe, wie in Berlin jüdische Einrichtungen Polizeischutz brauchen. Wie kann das im 21. Jahrhundert sein, dass Antisemitismus so verbreitet ist? Woher kommt der Hass auf Menschen muslimischen Glaubens?
Es sollte auch nicht so sein, dass ich wie auch viele andere Menschen, meine Umgebung, die Situation und Mitmenschen einschätzen muss, damit ich sicher bin. Aber ich lebe damit, das zu tun und sowohl die Situation zu erfassen als auch auf mein Bauchgefühl zu hören. Dass ich bisher ausschließlich verbal belästigt und mal angegrabscht wurde, ist nicht okay, aber immer noch größtenteils Glück, neben eben der Vorsicht. Andere sind aber genauso vorsichtig und mussten (sexuelle) Gewalt erleben.
Solche Situationen sollten nicht sein
Lasst uns bitte gegenseitig aufeinander aufpassen. Wer in einer privilegierten, starken Ausgangsposition ist, bitte umso mehr. Und als Nicht-Betroffener einfach auf die hören, die es erleben. Wenn eine Person, die nicht weiß, cis, hetero und männlich ist, eine Situation nicht als sicher einschätzt, unterstützt diese Person in Euren Möglichkeiten.
Bizzidad konnte später nachvollziehen, dass seine Situation komplett anders ist als meine.
„Ich sagte, ich möchte da nicht allein hingehen, die Situation sei nicht sicher. Er wurde pampig, ich wolle ja Fast Food (nein, die Kinder) und solle mich nicht anstellen, das sei nicht gefährlich und ich solle gehen.“
Ganz gleich ob „cis“, „weiß“ oder „hetero“: So geht man nicht miteinander um. Das ist absolut inakzeptabel.
Übrigens: Hat der furchtlose Mann zwei gesunde Beine, um Burger zu holen? Oder hat am Ende *er* Angst, in der No-go-Area abgestochen zu werden?
sorry für diese erfahrung!
ich bin übrigens wie du, wenn ich abends oder in unklaren situationen unterwegs bin: lage abchecken / fluchtmöglichkeiten / hilfmöglichkeiten und überlege auch vorher schon, wie ich das mache, um nicht alleine unterwegs zu sein. bisher war ich zum glück auch nie in einer brenzligen situation, aber habe es auch schon immer vermieden abends/nachts alleine unterwegs zu sein.
glücklicherweise hatte ich dann auch so gut wie immer nette kumpels, die mich gebracht haben.