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„Nordstern“ der Erziehung: was will ich eigentlich?

Vor einigen Monaten habe ich das Buch „Mein Familienkompass“ der wunderbaren Nora Imlau rezensieren dürfen. Das nahm mehr Zeit und gedankliche Kapazität in Anspruch als ich vorher gedacht hätte. Viele Denkanstöße. Hier geht es aber einen Begriff, den ich für mich übernommen habe: den „Nordstern“. Denn den braucht es bei vielen Gedanken und Zielen im Leben, einen Orientierungspunkt für den Weg und die Ziele.

Drei Kinder und was ist das Ziel?

Grundsätzlich ist natürlich das Ziel und somit der Nordstern: Beziehung. Eine Beziehung miteinander und mit anderen Menschen. Meinen Kindern wünsche ich, dass sie Persönlichkeiten werden und vor allem eins: glücklich. Dass sie ihren Weg gehen, ihren ganz eigenen, aber immer auf uns als Familie zurück greifen können, dass wir ein Fixpunkt auf ihrem Firmament sind. Sie haben sich gegenseitig, was sich besonders in dieser ungewöhnlichen und belastenden Zeit auszahlt. Mir ist die Belastung mit (drei) Kindern zur Zeit teilweise psychisch zuviel, die Verantwortung und das Abwägen mit der Pandemie als Ursache. Aber für die Kinder ist es grade so perfekt, dass sie zu dritt sind und für uns gleichzeitig eine Entlastung. Momentan hat vieles mehrere Ebenen und meine Gefühle sind ambivalent.

Zusammenhalt

Der „Nordstern“ für das Leben in einer Gemeinschaft

Wir leben aber nicht alleine auf diesem Planeten und wir hoffen, sie haben gesunden Egoismus, dass sie ihre Bedürfnisse nicht leugnen und ignorieren. Aber es gibt eben ein Miteinander mit anderen Menschen. Einerseits in der Familie, zwischen den Geschwistern. Aber sie leben eben auch in der Gesellschaft mit vielen anderen Menschen. Völlig unterschiedlichen Menschen. Oft redet man in der Erziehung von „Toleranz“ anderen Menschen gegenüber. Ich mag den Begriff da weniger, weil etwas „tolerieren“ klingt, als sei es negativ. Daher mag ich „Akzeptanz“ eher, weil wir viele Dinge einfach zu akzeptieren haben.

Meine Hoffnung ist, dass meine Kinder Empathie und Akzeptanz mit in ihr Leben tragen. Dass sie ihre Ideale und Ziele nicht aufgeben, aber eben auch andere Menschen sehen. Eben wie im Alltag in der Familie.

Diskriminierungsfreie Sprache als „Nordstern“ der Kommunikation

Die wunderbare Madame Huhn hat bei mir einen für mich sehr wichtigen und wertvollen Gastbeitrag geschrieben über „Sprache ist Macht“, diskriminierungsfreie Sprache. Sie kann das viel besser ausdrücken als ich. Trotzdem ist es mir wichtig. Kommunikation ist oft die Basis des Miteinanders, sowohl verbal als auch non-verbal.

Hier habe ich noch nie Sätze gehört wie „ich bin doch nicht behindert“. Denn „behindert“ im negativen, derogativen Sinne benutzen? Für mich unfassbar. Genauso wie „schwul“ die Beschreibung einer von vieler sexueller Orientierungen ist, wie sich ein Mensch selbst bezeichnet. Bei Twitter gab es neulich „Flittchen-Gate“, in dem Kontext wurden Frauen, die Sex ausserhalb einer festen Beziehung/Ehe haben, so beschrieben. Ich möchte nicht, dass meine Kinder so eine Auffassung haben.

Entspreche ich Klischees? Nordstern der Erziehung
Das bin ich – ich versuche, an mir zu arbeiten, nicht zu be- und ver-urteilen. Gendergerechte, diskriminierungsfreie Sprache zu nutzen

Gendern finde ich auch relevant und auch Bizzidad arbeitet da an seiner Kommunikation. Ich bin bei Weitem noch lange nicht so gut, Sexismus, Ableismus und verletztende Begriffe komplett zu vermeiden wie Madame Huhn. Aber wir geben uns Mühe. In meinem Beitrag mit Femtis Periodenunterwäsche habe ich bewusst darauf geachtet, dass ich von „Menstruierenden“ spreche, denn es geht nicht nur um „Frauen“ (im Sinne von cis). Ich mache es nicht perfekt, ich benutze immer noch „blöd“ aktiv im Sprachgebrauch oder andere Formulierungen, aber mein Bewusstsein wächst und daher gender ich Worte. Aber natürlich übersehe ich da auch mal was. Der Wunsch bleibt, dass unsere Sprache die Kinder prägt und sie das mit übernehmen.

Menschen sind gleich viel wert

Der Mittlere (8) fragte mich vor einigen Monaten mal, warum manche Männer denken, sie seien klüger und besser als Frauen und daher Frauen schlecht behandeln. Ich habe es versucht, altersgerecht zu erklären. Dass er doch gerne „Bestimmer“ sei und wenn dann jemand anderes genauso bestimmen wolle, ob er das dann wolle. „Nein!“. Genau so sei es eben auch oft bei Männern. Wir bewegen uns allerdings in einem Umfeld, wo es nicht ihre Lebensrealität ist, dass die Welt misogyn ist.

Rollenmodell oder Rollenklischee? Nordstern Akzeptanz und kein Sexismus
Zuhause arbeitende Mama

Es geht nicht nur um Sexismus, sondern auch um Rassismus. Ich bin froh, dass das medial immer bewusster gesehen wird, dass es Aufschreie gibt, wie nach einer Sendung ÜBER Rassismus, in der nur Weiße befragt wurden. Meiner Meinung nach sind Kinder aus sich raus nicht rassistisch, sondern übernehmen die Prägung von Zuhause. Auch da will ich mich nicht frei sprechen, bestimmt habe ich Vorurteile und ich habe in meinem Leben auch schon Dinge gesagt oder falsch formuliert. Ich versuche, dazu zu lernen.

Akzeptanz anderer Menschen sollte selbstverständlich sein

Akzeptanz ist zum Glück auch in den Schulen Thema. Der Große findet es eher spannend, dass manche seiner MitschülerInnen andere Sprachen genauso wie Deutsch sprechen oder eine andere oder keine Religion haben oder eben deren Familienangehörige in anderen Ländern leben. Für die Kinder ist es selbstverständlich.

Neulich hatte ich mit dem Großen (11) ein längeres Gespräch über Sexualität und Transsexualität. Für ihn ist das Problem, dass andere Menschen mit wieder anderen Menschen haben, nicht verständlich. Es ist für ihn völlig klar, dass er das einfach so akzeptiert.

Der Kleine hat lange Haare

Ich habe da erst bei Twitter sehr viel gelernt. Daher benutze ich für meinen Schulfreund nicht mehr den Deadname, sondern seinen heutigen Namen und achte darauf, ihn richtig zu gendern. Es fängt schon im Kleinen an, niemand sollte body-shaming erleben oder für Kleidung, Aussehen, Interessen oder irgendwas gehänselt werden. Der Kleine liebt rosa und hat lange Haare, das ist seine Sache.

„Leistung“ als Nordstern?

Was mir immer wieder auffällt, vielleicht, weil ich da auch wieder, wie bei vielem anderen, eine andere Einstellung habe. Die erste Frage von vielen Eltern zu den Schulschließungen ist „und was ist mit dem verpassten Stoff?“. Meine Überlegung ist, wie wir diese Zeit möglichst unbeschadet überstehen. Mir sind unsere Privilegien absolut bewusst, meine Kinder haben die Chance, verpassten Stoff aufzuholen, sollte es denn welchen geben. Wir üben da keinen Druck aus.

Natürlich freue ich mich mit und für die Kinder über „gute“ Noten (gut finde ich alles ausser Defizite). Aber sie sind nicht das Ziel. Sie sollen glücklich sein, mit sich selbst zufrieden. Instrumente lernen sie, weil es ihnen Spaß macht, nicht für irgendein Image oder einen Status. Für den Großen fehlt Orchester am allermeisten zu der aktuellen Zeit.

Körperliche Autonomie

Ganz wichtig, vor allem auch als Schutz gegen Missbrauch finde ich, dass sie wissen, dass ihr Körper ihnen gehört. (Übrigens finde ich da Tollabeas Beitrag zu „guten“ und „schlechten“ Geheimnissen da sehr wichtig, das wenden wir so an) Auch ich umarme oder küsse die Kinder nicht gegen ihren Willen, sondern frage beiläufig oder achte auf Signale. Niemand hat sie anzufassen. So, wie mich niemand anfassen kann. Das ist eine Sache, wie meine Eltern mich sozialisiert haben. Mein „Nein“ gilt und hat Berechtigung.

Ich bin Ich - Akzeptanz als Nordstern
Mein Körper gehört mir – die Körper der Kinder gehören ihnen

Und vor allem Respekt

Wir hoffen, unsere Kinder zeigen Respekt. Nicht unbedingt vor Personen oder Institutionen „weil man das so macht“, sondern, weil sie Menschen respektieren. Von vorneherein erst mal respektvoll mit Menschen umgehen und sie nicht aufgrund von Herkunft, Aussehen, Geschlecht, Gender, Sexualität, Kleidung, Religion, Nationalität oder Bildung be- und verurteilt oder in Schubladen packt. Das ist in meinem gefühlten Nordstern teil.

Natürlich sind wir fast alle nicht frei von Vorurteilen. Aber das sind die Momente, in denen man sie eben hinterfragen sollte. Oder eben Denkanstöße wahr nehmen. Bisa zwei Mütter auf Twitter darüber berichtet haben, war mir beispielsweise völlig unklar, was es bedeuten kann, wenn Kinder für die Schule einen Stammbaum machen müssen. Dass es für Kinder ohne Kontakt zu einem leiblichen Elternteil, in Patchwork, adoptierte Kinder oder Kinder mit traumatischen Erlebnissen oder Flucht richtig schlimm ist. Für uns war es neulich für Geschichte nur ein Stammbaum, mehr nicht.

Nordstern der Erziehung - miteinander und Beziehung
Sich die Hand reichen – füreinander da sein

Mache ich alles richtig?

Wir machen sicher nicht alles richtig. Wir machen Fehler, denn wir sind Menschen. Dabei sind wir durch unsere Ursprungs-Familien und unsere Sozialisierung geprägt. Aber wir versuchen uns unseren „Nordstern“ und das Firmament bewusst zu machen. Es glückt nicht immer. Manches wirkt nach Aussen vielleicht auch seltsam. Hier mache ich definitiv mehr Care-Arbeit. Gleichzeitig erleben die Kinder uns auf Augenhöhe. Mal ist Papa nicht da, mal ist Mama nicht da. Wir streiten uns und wir vertragen uns.

Es wird bestimmt auch mal der Punkt kommen, dass die Kinder uns auf unsere Fehler, unseren Alltagsrassismus oder Diskriminierung aufmerksam machen. Daran lernen wir dann ebenfalls hoffentlich. Denn Lernen geht in beide Richtungen. Sie lernen hoffentlich von uns und wir hoffentlich von ihnen.

Ich glaube fast, wir haben nicht nur einen Nordstern, sondern ein ganzes Firmament, das eben teilweise in Bewegung ist und neue Bezugspunkte findet. Eben „Lernen“.

EDIT: und hier ist mein neuer Beitrag über das Mitbestimmungsrecht unserer Kinder. Das ist uns nämlich auch wichtig.

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