Eigentlich wollte ich schon länger mal wieder aus meinem Leben mit Typ 1 Diabetes berichten. Heute gibt es aber einen konkreten Anlass. Bei Twitter bin ich über ein Posting gestolpert, dass die Polizei Hamburg eine (inzwischen zurück gezogene) Aktion hatte „Insulin oder Heroin, geh auf Nummer sicher, ruf die Polizei“. (Link zu Twitter)
Was ist Diabetes?
Viele haben keine eigene Erfahrung mit Diabetes oder eben nur das (nicht ganz korrekte) Bild von Typ 2 Diabetes. Nämlich übergewichtig, schlechte Ernährung und vor allem alt. Das ist auch schon zu pauschal. Aber ich habe einen anderen Diabetestyp, nämlich Typ 1 Diabetes. Ganz vereinfacht gesagt, ist Typ 1 kompletter Insulinmangel, meine Bauchspeicheldrüse stellt kein Insulin mehr her. Gar keins. Ich muss Insulin spritzen. Typ 2 ist eine Resistenz und zuwenig Insulin, manchmal hilft Gewichtsabnahme oder Ernährungsumstellung oder es wird zusätzlich Insulin gespritzt.
Die Sache mit dem Insulin spritzen
An der Kampagne hat mich einiges geärgert. Als ich 19 war, waren wir zu einer Gruppe auf dem Weg zum Flughafen in einer S-Bahn. Dort war ein Junkie. Damals hatten wir noch keine Handys und die Bahn war sehr voll und zwischen den Wagen konnte man nicht so einfach wechseln. Jedenfalls saß da dieser Typ auf dem Boden und fing an, Heroin (?) mit einem Feuerzeug und Löffel abzukochen. Dank Aufklärung über Drogen in der Schule und dem Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ war uns allen klar, was da passiert. Er band sich dann den Arm ab. Dann hielt die Bahn endlich und wir haben fluchtartig den Wagen gewechselt.
Aber auch ohne Diabetes zu haben war uns absolut klar: das ist KEIN INSULIN. Insulin ist entweder in Spritze oder Pen schon drin oder wird aus einem Fläschchen aufgezogen. Außerdem spritzt man Insulin in das subkutane Fettgewebe meist in den Bauch oder Oberschenkel. (Wenn man einen Muskel trifft, tut es mehr weh und wirkt schneller). Kein Diabetiker spritzt in Venen.
Die Erfahrung war so krass, dass ich es noch heute vor Augen habe. Mich hat das verstört. Daher, niemand, der irgendwie ein bißchen überlegt, kann Insulin und Heroin verwechseln.
Fliegen mit Diabetes
Mich ärgert diese Kampagnenidee maßlos. Denn als Diabetiker ist man zwar eingeschränkt gesund, aber es gibt eben diese Einschränkungen.
Wenn ich fliege, habe ich ein Attest über mein Insulin dabei. Denn seit es die Regeln über Flüssigkeiten im Handgepäck gibt, ist es aufwändiger. Ich finde Sicherheitskontrollen selbstverständlich sinnvoll und nötig. Aber ich habe dann mein Insulin. Inklusive Attest. Manchmal ist es relativ unproblematisch. Manchmal aber eben nicht. Immer wird meine Insulinpumpe auf Sprengstoff getestet. Das dauert einfach auch ein bißchen. Ich habe leider auch trotz des Attests manchmal diskutiert. Das Insulin in den Koffer zu packen, ist keine Option, da mein Leben davon abhängt.
Immer an alles denken müssen
In meinem Alltag ist der Diabetes Routine. Aber er ist eben immer da und ich muss immer daran denken. Einfach nur mit einem Schlüssel und ggf. Handy und Geld aus dem Haus gehen? Das geht nicht. Ich habe immer einen Ersatzkatheter, Batterie und etwas gegen Unterzuckerung dabei. Seit dem Sensor das Blutzuckermessgerät nur bei längeren Wegen.
Manchmal überhöre ich auch einen Alarm der Pumpe oder klicke ihn im Halbschlaf weg. Da geht dann mal die Batterie auf einer Autofahrt komplett leer und wir müssen auf einem Parkplatz aus meinem Koffer die Batterien suchen. Neulich sind wir zu Freunden gefahren und die Pumpe hatte kein Insulin mehr. Wie mir der Alarm entgangen ist? Ich weiß es nicht. Bizzidad ist nach Hause gefahren, Insulin holen.
Krankheiten sind risikoreicher
Diabetiker gelten immer als Risikopatienten. Ich hatte also Hochrisikoschwangerschaften. Auch nach meiner Fehlgeburt 2018 war meine Ausschabung stationär, wegen des Diabetes. Was für Andere ein nerviger, aber völlig harmloser Magen-Darm-Infekt ist, kann für mich lebensgefährlich werden. Auch jetzt bei Corona stehen wir Diabetiker ganz oben in der Liste derer mit höherem Risiko.
Beim Zahnarzt eine cortisonhaltige Spritze? Der Blutzucker ist Tagelang ausser Kontrolle. Mein Zahnarzt weiß das aber und kontrolliert bei mir alles mehrfach, dass kein Kortison enthalten ist.
Die Tücken der Technik
Ich habe eine Insulinpumpe und trage einen Sensor. Wenn alles funktioniert, erhöht das meine Lebensqualität massiv. Nicht ans Spritzen denken, denn die Basalversorgung (Grundversorgung, die der gesunde Körper selbst leistet) ist einprogrammiert und ich muss nichts tun. Wenn ich esse, gebe ich den Bolus ab und kann jederzeit meinen aktuellen Blutzuckerwert auf dem Display sehen. Die Pumpe warnt mich bei hohen oder niedrigen Werten und schaltet sich ab, wenn der Wert zu niedrig ist.
Leider funktioniert die Technik nicht immer so, wie sie soll. Meine Insulinpumpe fällt buchstäblich auseinander. Sie hat Risse und neulich ist eine Befestigung der Ampulle abgebrochen. Der Sensor funkt mal und mal nicht. Eigentlich braucht er alle 12 Stunden eine Kalibrierung (in den Finger pieksen), aber nach Lust und Laune auch mal alle 6 Stunden. Oder er findet keine Verbindung, obwohl zwischen Sensor und Pumpe 30cm liegen. Aktuell wird alles neu beantragt und das kostet erfahrungsgemäß viele Nerven, sowohl bei mir als auch in der Praxis.
Wir haben mit Diabetes genug zu tun, ohne Stigmatisierung oder Leute, die wegen Insulin vorschnell die Polizei rufen. In dem Zusammenhang möchte ich aber auch relativieren, die potentiellen Probleme als Diabetikerin sind weitaus geringer und keinesfalls vergleichbar mit dem, was Schwarzen an Stigmatisierung (und Rassismus) passiert.
*unbezahlte, unbeauftragte Werbung
6 Gedanken zu „Was am Leben mit Diabetes nervt“
Kommentare sind geschlossen.