Werbung ohne Auftrag Ich war eigentlich immer Anhängerin unseres klassischen deutschen Schulsystems mit Schulpflicht. Systeme wie in den USA mit Homeschool habe ich kritisch beäugt. Wie sollte das funktionieren? Hier gibt es auch freie Schulen, aber deren Konzepte konnten mich nie überzeugen. Vor den Schulschließungen wegen Corona hat schon die Erfahrung aus vier unschönen Jahren Grundschule beim Großen meine Meinung etwas verändert. Eine einzige Person hatte riesigen Einfluss und da nicht alle Lehrkräfte toll sind, ist das nicht unbedingt immer gut. Der Mittlere dagegen hat eine wunderbare, kompetente, humorvolle und souveräne Klassenleitung und geht gern zur Schule.
Und dann kam Corona
Der Große ist 2019 aufs Gymnasium gewechselt und unser Schule hassendes Kind ging plötzlich richtig gern zur Schule und blühte auf. Ich hatte mich auch verschätzt. Meiner Meinung nach brauchte Schule klare Wege und Inhalte und dabei einen festen Plan. Auf dem Gymnasium wurde deutlich mehr Selbständigkeit erwartet. Gleichzeitig kam dazu, dass die Kinder gehört werden und die Lehrer mit ihnen im Austausch stehen.
Tja, und dann kam Corona. Die Schulschließungen kamen genau an dem Punkt, wo wir ohnehin beschlossen hatten, dass unsere Kinder „krank“ werden und den Unterricht nicht mehr besuchen.
Homeschool und digitaler Unterricht
Der Mittlere kam mit gedrucktem Material aus der Grundschule. Das war grundsätzlich durchdacht und gut gestellt, nur eben nicht digital. Als die Schulen länger zu blieben, bekamen die Kinder klare Wochenpläne mit Abgabedaten. Seine wundervolle Lehrerin hat wirklich alles korrigiert und generell waren die Aufgaben alle so konzipiert, dass kaum Elternarbeit nötig war.
Das Gymnasium des Großen hatte uns schon vorher begeistert. Ein sehr junges und ausserordentlich engagiertes Kollegium arbeitete dort auf Augenhöhe und respektvollem Umgang mit den Kindern. Auch haben sie seit Anfang an Informatik und im normalen Unterricht gab es auch den Einsatz von Apps und Lernseiten. Mit der Schulschließung wechselte die Schule auf komplett digitalen Unterricht. Ich glaube, wir haben in all der Zeit 4-5 Seiten wirklich ausdrucken müssen. Seiner LehrerInnen haben unheimlich viel Zeit und Mühe investiert, auf Mails kam schnelles Feedback, es kamen Anrufe und die Aufgaben waren klar gestellt mit sinnvoll gesetzten Abgabeterminen. Ich bin den LehrerInnen sehr dankbar für ihre Arbeit.
Selbständiges Arbeiten
Die Schulleitung besteht aus zwei Informatikern und generell habe ich den Eindruck, dass die LehrerInnen sehr technikaffin sind. Die verschiedenen Möglichkeiten der (auch vorher im Unterricht schon genutzten) Plattformen wurden sukzessive ausgebaut. Es war eine Lernkurve.
Grundsätzlich war es so angelegt, dass jedes Kind etwa 3 Zeitstunden am Tag mit Schule verbringen sollte. Es gab Abgabetermine für alle Aufgaben, die je nach Umfang meistens etwa eine Woche waren. Dazu kamen einige Livestreams.
Meine Skepsis war unbegründet. Der Große hat sich sehr schnell strukturiert und die vorgesehene Zeit kam immer ziemlich gut hin. Mal hat er einen Tag mehr gemacht und mal weniger. Er konnte ausschlafen und nach seinem eigenen Rhythmus Schule machen oder Mittags eine lange Pause draussen im Garten spielen. Auch konnte er die flexible Zeit nutzen, seine vorher bestehenden Lücken besonders in Englisch zu schließen. Bis auf eine Abgabefrist (wegen fehlendem LogIn) hat er alle Fristen problemlos selbst überblickt und eingehalten.
Zurück in die Schule
Vor den Sommerferien wurden die Schulen gezwungen, wieder Präsenzunterricht anzubieten. In kleineren Gruppen, weshalb es viel mehr Kapazität verbrauchte und der wirklich tolle digitale Unterricht eingeschränkt werden musste.
Jetzt nach den Ferien soll „Normalbetrieb“ sein. Es gibt noch ein paar Einschränkungen für jahrgangsübergreifenden Unterricht oder Sport und Singen oder das geliebte Orchester. Aber es sollen wieder 30 Kinder in einer Klasse sitzen. Zwar mit Mundschutz ab Sek I, aber auch die Option, dass ich als Risikopatientin mit Diabetes meine Kinder vom Präsenzunterricht befreien lasse, fällt weg. Somit haben wir hier ein echt hohes Risiko. Nur, weil Deutschland auf alt gedachte Schule mit Präsenzpflicht besteht.
Lernpflicht statt Schulpflicht
Mein Denken hat sich komplett geändert. Ich halte immer weniger von klassischer Schulpflicht. Beim Großen mussten wir vier Jahre mit angucken, wie destruktiv Schule sein kann. Nun geht er auf eine Schule, auf der es ihm gut geht und er wieder viel mehr Spaß an schulischem Lernen hat. Aber nun haben wir diese verdammte Pandemie am Hals.
Grundsätzlich bin ich immer noch für staatlich vorgegebene und kontrollierte Curricula. Aber wie das Lernen und vor allem auch wo es stattfindet? Da bin ich für Flexibilität. Ich möchte nicht, dass wie in religiös geprägten Gegenden der USA Themen wie Sexualkunde wegfallen dürften oder ein von bestimmten Gesinnungen geprägtes Menschen- oder Weltbild vermittelt werden könnte. Daher bin ich schon für staatliche Kontrolle von Inhalten und nachvollziehbarer Bewertung.
Meine Traum-Schule
Ich war lange skeptisch, was Montessori betrifft. Lernen, was man grade möchte in Blöcken und selbstbestimmt. Jetzt wünschte ich mir das. Schule mit Lernangeboten.
Ist mein Traum eine vermutlich nicht realisierbare Utopie? Vermutlich leider schon, weil es weder das Geld noch das Personal dafür gibt. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass man es in Ansätzen versucht.
Schule als Lernort
Grundsätzlich bin ich dafür, Schulen zu öffnen. Es sollte Unterricht und Lernen auch in den Schulgebäuden und bei den LehrerInnen geben. Aber eher nach dem Prinzip, dass alle Kinder teils auch individuelle Lernpläne haben und darin Flexibilität haben. Zeitfenster, um einen bestimmten Stoff zu erarbeiten. Ob das Kind dann 3 Tage im Mathe-Raum verbringt und sein Projekt abschließt oder ob es über 6 Wochen immer mal eine Stunde am Tag Mathe macht? Das sollte frei zu entscheiden sein.
In den Räumen der Schule wünsche ich mir jeweilige Fachlehrer, freie Arbeitsgruppen, die im selben Alter oder altersgemischt sind. Dass unterschiedliche Lernmaterialen, ob digital oder kreativ und haptisch, vorhanden sind. Die LehrerInnen als Experten, die unterstützen, erklären und auch Angebote machen. Ob nun komplett flexibel oder als nach Plan angekündigtem Unterrichtsblock.
Betreuung sollte tagsüber immer gewährleistet sein. Nicht jedes Kind kann Zuhause lernen.
Zuhause als Lernort
Die Anwesenheit in der Schule sollte für mich aber grundsätzlich erst mal optional sein. Wo und wann die Kinder ihre Lernpläne erfüllen, sollte Entscheidung der Kinder und ihrer Familien sein oder individuelle Absprache mit der Lehrkraft, die Ansprechpartner dieses Kinds ist. Nur, wenn ein Kind wiederholt Abgabedaten und Prüfungstermine verpasst, sollte die flexible Lernpflicht zu einer Schulpflicht werden.
Ich wünsche mir, dass Lerneinheiten sowohl „live“ in der Schule als auch am heimischen PC oder am Handy verfolgt werden können. Die Videokonferenzen, die der Große vor den Ferien hatten, boten auch immer die Option, Fragen zu stellen, genauso wie im Unterricht vor Ort.
Anregende Lernorte sind auch Schule
Während Corona ist es schwieriger. Generell aber bieten sich so viele Orte als Lernorte an. Ob es der heimische Wald ist, ein See, ein Museum oder eine Stadt wie Berlin oder London. Es kann auch die Oma oder der Opa oder die ältere Nachbarin sein, die aus ihrer Kindheit erzählen oder was sie im Leben erlebt haben. Oder jemand, dessen Lebensgeschichte spannend ist oder der einen anderen kulturellen oder religiösen Hintergrund hat. Lernen gibt es nicht immer nur in der Schule. Es hat nicht jedes Kind alle Möglichkeiten. Sollte es sie aber geben, finde ich sie tollen zusätzlichen Input. Oft ist das in der Wahrnehmung vieler Menschen kein „Lernen“.
Wochen- und Monatspläne sowie Projektarbeiten
Vor den Schulöffnungen hatten die Kinder auch teilweise Projekte, beispielsweise eine Buchrezension in Deutsch. Dazu gehörte es, das Buch zu lesen und eine ausführliche Rezension zu schreiben. Alle Lehrkräfte haben die verschiedenen Aufgaben in das Portal gestellt und dort waren auch die Deadlines klar erkennbar und Feedback konnte hinterlegt werden.
Wie kleinteilig Pläne sind, müsste flexibel gehandhabt werden. Ob ein Kind längere Blöcke überblicken kann oder besser mit Wochenplänen klar kommt. Ich wünschte mir dann Zeitfenster, in denen sozusagen der Abschluss einer Lerneinheit erfolgt. Das kann ein Test, eine Arbeit, ein Gespräch oder eine Projektarbeit sein, je nach Fach und Thema. Falls dies nicht funktioniert, müsste es individuell dann eine Präsenzpflicht geben, aber eben nur dann.
Fehlende Chancengleichheit
Wir leben in einer Gesellschaft, in der es keine Chancengleichheit gibt. Aber genau aus dem Grund bin ich für flexible Modelle. Natürlich müsste oft erst mal die Infrastruktur geschaffen werden. Manche Schulen sind offline oder haben keine oder veraltete Geräte. Allerdings stellt die Politik eigentlich auch Geld zur Verfügung. Dennoch wäre ich dafür, jeder Schule zumindest stundenweise IT-Kräfte zur Verfügung zu stellen und sowohl LehrerInnen als auch SchülerInnen mit Geräten auszustatten. Zur Zeit der Schulschließung habe ich gesehen, wie viel die LehrerInnen des Großen über jedes übliche Maß hinaus geleistet haben. Sie haben so viel zusätzliche Arbeitszeit und Energie investiert.
Weil eben nicht jedes Kind Zuhause die (technische) Möglichkeit oder die Unterstützung hat, wäre ich dafür, auch jetzt die Schulen als Lernort zu etablieren. Ich möchte aber Präsenzangebote, keine Präsenzpflicht ausser bei Ausnahmen. Der Unterricht beim Großen ist aber qualitativ so gut, dass ich sicher bin, meistens würde er sogar auf freiwilliger Basis zum Unterricht gehen. Ganz ohne Pflicht und Zwang.
Wenn aber weniger Kinder anwesend sind, können die Lehrkräfte in ihren Fachräumen auch besser auf die anwesenden Kinder und ihre Bedürfnisse eingehen. In der Schule stünde auch die notwendige Infrastruktur zur Verfügung. Dazu käme, dass man sich an das Abstandsgebot besser halten könnte.
Leistungsdruck in der Schule
Manche Eltern beklagten, ihre Kinder hätten während der Schulschließung zu wenig „geleistet“. Den Eindruck teile ich gar nicht. Die Kinder haben definitiv weniger Zeit mit „Schule“ und klassischem Lernen verbracht. Aber Spielen ist auch Lernen. Außerdem haben sie so viele zusätzliche Dinge gelernt. Der Mittlere kann nun Mails schreiben. Der Große ist deutlich fitter am PC geworden, erstellt Dateien, fügt Bilder ein, kommunziert souverän über Mail und die Lernplattformen. Außerdem wurde sein Arbeitsverhalten noch mal extrem viel selbständiger und er kann sich besser organisieren. Ihm war klar, dass die Aufgaben nicht (negativ) bewertet werden können. „Trotzdem“ oder genau deshalb hat er sich richtig Mühe gegeben und hat mehr als nur die Mindestleistung erbracht.
Ich habe generell immer mehr ein Problem mit Noten. Noten sind meistens unfair. Während der aktuellen Corona-Krise noch unfairer als sonst schon. Ich wäre für konstruktive Bewertungstexte wie in den ersten Schuljahren.
Corona erschwert alles
Nun öffnen alle Schulen wieder und es ist Regelbetrieb geplant. Nicht einmal mehr Kleingruppen sind geplant. So nervig Mundschutz im Alltag ist. Ich finde die in NRW bis Ende August geltende Mundschutzpflicht im Unterricht richtig und wichtig. Leider haben wir keine Wahl, ob wir unsere Kinder in die Schule schicken und sie, mich und andere Menschen den Risiken aussetzen.
Lieber wäre mir weiterhin Unterricht in Kleingruppen von maximal 10 Kindern und das ganze nicht täglich. Aber so lange wir diese Pandemie und derart steigende Infektionszahlen haben, ist wirklicher Regelbetrieb eine Illusion. Ich verstehe nicht, warum man an aus meiner Sicht überholten Konzepten so knallhart fest hält. Nicht einmal die Schulen, die die digitale Schule super gemeistert haben, dürfen den Unterricht teilweise digital halten. LehrerInnen und Kinder sind die Versuchskaninchen. Ob es am Ende Menschen gibt, die Folgeschäden erleiden oder sterben, scheint hinter „der Wirtschaft“ zu stehen.
Schule als Angebot
Man sollte nur Schule weiter denken und auch andere Konzepte zulassen und probieren. Die Digitalisierung wurde oftmals verpennt und an Schulen wie der des Großen ist es engagierten Lehrkräften zu verdanken, dass es so geht. Es braucht mehr Ausstattung und mehr LehrerInnen und anderes pädagogisches Personal. Die nötige Ausstattung sollte zur Verfügung gestellt werden und nicht vom Elternhaus abhängen.
Wie seht Ihr das? Hat Corona Eure Einstellung zu Schule und Lernen verändert?
*unbezahlte, unbeauftragte Werbung, Marken erkennbar, Markennennung, Verlinkung
Edit: Fehlerkorrektur und einen Satz noch mal zur Klarstellung ergänzt.
Bei uns hat mit der Zeit die Konzentration fürs Lernen zu Hause nachgelassen. Zum einen haben den Kindern massiv ihre Freunde gefehlt und zum anderen ist für sie zu Hause normaler Weise der Ort, an dem sie mit Schule für diesen Tag abschließen können. So wurde zu Hause nun eben auch zum Lernort und nicht mehr klar trennbar.
Das war nicht immer einfach. Auch wenn unsere Schule leider nicht mal im Ansatz so schön strukturiert war, wie eure, musste ich aber dennoch kaum mit dem Kind etwas machen, da es eine ziemlich schnelle Auffassungsgabe hat. Dafür bin ich unendlich dankbar, vor allem wenn ich gesehen habe, wie sich andere wirklich mit dem Homeschooling gequält haben und es oft auch an den Verhältnissen genagt hat.
Ich bin gespannt, wie sich das alles nun noch weiter entwickeln wird. Da wird sich sicherlich noch einiges tun und verändern in den nächsten Wochen und Monaten. Teilweise zwangsweise, da bin ich mir sicher.